Bundesliga

1. FC Köln: Schultz über Streich, Adamyan und den Klassenerhalt

Kölns Trainer über St. Pauli, seine Zukunft - und mehr Risiko im Keller

Schultz im Interview: "Auch Streich ging den Weg in die 2. Liga mit"

"Wir werden offensiver": Kölns Trainer Timo Schultz.

"Wir werden offensiver": Kölns Trainer Timo Schultz. IMAGO/Mika Volkmann

Aus dem Trainingslager des 1. FC Köln in Algorfa (Spanien) berichtet Jim Decker

Gleich eine ganze Reihe von Interviews hat sich Trainer Timo Schultz am Mittwochabend vorgenommen. Gut gelaunt arbeitet der 46-Jährige einen Termin nach dem anderen ab. Danach verliert Schultz dann gemeinsam mit Co-Trainer André Pawlak ein Team-internes Padel-Turnier im Finale. Beim Gespräch an der Bar des La-Finca-Resorts ist auch zu sehen, welches Hintergrundfoto Schultz auf seinem Handy hat: Es ist der Kölner Dom.

Ihr Ex-Verein FC St. Pauli steht mit großem Vorsprung an der Spitze der 2. Liga. Denken Sie manchmal: Das hätte ich sein können, Herr Schultz?

Nein, gar nicht. Die Zeit als Spieler und dann als Trainer will ich nicht missen. Meine Familie wohnt immer noch in Hamburg. Natürlich ist der Verein ein besonderer Teil in meinem Herzen. Wir haben die Entwicklung damals gut angeschoben. Trotzdem haben wir uns irgendwann getrennt, weil wir dachten: Das ist das Beste. Und wenn man die Entwicklung seitdem sieht, war es das auch. Ich freue mich, wenn sie bald in der Bundesliga spielen. Und noch mehr, wenn wir dann aufeinandertreffen.

Podcast
Podcast
Wachablösung? So wehrt sich Wolfsburg gegen den FC Bayern!
13:17 Minuten
alle Folgen

War absehbar, dass Ihr damaliger Co-Trainer Fabian Hürzeler eine Mannschaft so formen kann?

Ich glaube, wir waren auch vorher sehr gut dabei, haben schon einmal ans Tor zur Bundesliga geklopft. Schon als ich Fabi dazu geholt habe, war klar, dass er ein sehr großes Trainertalent ist und mal selbst Cheftrainer werden wird. Wenn man die Mannschaft spielen sieht, wundert es mich nicht, dass er auf dem Zettel anderer Vereine steht. Ich freue mich aber, dass er erst mal dableibt und die Entwicklung weitergeht.

Wie war es, nach zweieinhalb Jahren in Hamburg plötzlich ohne Job dazustehen?

Ich habe eine Familie mit drei Kindern. Wenn man dann plötzlich am Wochenende frei hat, gibt es erst mal andere Themen, die vorher lange liegengeblieben sind. Bei mir geht dann aber auch schnell wieder das Kribbeln los: Ich möchte auf dem Trainingsplatz stehen und am Wochenende den Wettkampf haben. Ich habe die Zeit genutzt, um Energie zu tanken, sich andere Spiele anzuschauen und inspirieren zu lassen. Mir haben auch diese Phasen immer Spaß gemacht. Aber bislang hatte ich diese Phase ja erst zweimal und auch relativ kurz. Hoffen wir, dass das so bleibt.

Das muss sich in den Köpfen festsetzen: Wir müssen mehr Risiko eingehen.

Timo Schultz

"Relativ kurz" ist ein gutes Stichwort: Waren die knapp drei Monate beim FC Basel im vergangenen Sommer ein Fehler?

Auf keinen Fall. Ich war am richtigen Ort, aber zur falschen Zeit. Mit der hohen Fluktuation im Kader war es schwer, etwas zu entwickeln. Beide Seiten haben einfach schnell gemerkt, dass es nicht passt. Dass es in zwei Jahren acht Trainer gab, sagt über die Gesamtkonstellation einiges aus. Ich würde mich freuen, wenn sie es wieder in die obere Tabellenhälfte schaffen und international spielen (derzeit ist Basel 10. von 12. Teams, Anm. d. Red.). Das ist eine Episode, die ich nicht missen möchte - auch wenn sie sehr kurz war.

Kurze Episode: Beim FC Basel stand Timo Schultz nur 90 Tage an der Seitenlinie.

Kurze Episode: Beim FC Basel stand Timo Schultz nur 90 Tage an der Seitenlinie. IMAGO/Pius Koller

Fürchteten Sie einen Knick in der Karriere?

Als Trainer sollte man sich nicht zu sehr damit beschäftigen, was sein könnte. Mir macht das Trainerdasein Spaß. Für mich sind Sachen wie der Etat, der Kader oder der Wettbewerb, in dem wir spielen, gar nicht das Wichtigste. Meine Arbeit kann auch in einer U 19 viel Spaß machen. Entscheidend ist, dass man die Jungs entwickeln kann und man die nächsten Schritte mit dem Verein gehen kann. Und das ist alles beim 1. FC Köln gegeben.

Stichwort Zenit: Was machen Sie denn mit Profis, die es offensichtlich besser können, aber im Formloch stecken?

Nur wenige bei uns können aufgrund ihres Alters oder ihrer Karriere sagen, dass sie den besten Teil schon hinter sich haben. Im Kader steckt noch einiges an Potenzial. Das müssen wir aktivieren.

Was tun Sie konkret?

Training, Gespräche, Analysen. In unserer Situation geht es vor allem darum, Vertrauen auszusprechen und Lösungen für konkrete Probleme auf dem Platz anzubieten. Braucht jemand Zuspruch oder doch vielleicht eine klare Ansage? Für uns geht es darum, wieder mit mehr Selbstbewusstsein auf dem Platz zu stehen. Aber auch das kann man sich erarbeiten. Dann werden wir in der Lage sein, unsere Spiele zu gewinnen. Unentschieden wie zuletzt werden uns nicht mehr vorwärtsbringen. Wir müssen Spiele gewinnen. Das muss sich in den Köpfen festsetzen: Wir müssen mehr Risiko eingehen.

Sie waren selbst Profi. An welchen Trainern orientieren Sie sich?

Meine erfolgreichste Zeit bei St. Pauli hatte ich unter Holger Stanislawski. Der hat es geschafft, jedem Spieler auf einer persönlichen Ebene Wertschätzung entgegenzubringen. Das sollte die Grundlage des Zusammenarbeitens sein. Auf der anderen Seite geht es um das Arbeitsethos: Wie ist zu trainieren, wie zu spielen? Da haben wir in Köln eine sehr dankbare Gruppe. Eine, die in jedem Training Vollgas gibt. Wenn man die Laufdaten sieht, gibt es wenige Teams, die mehr investieren als der 1. FC Köln. Das ist eine sehr gute Grundlage.

Darüber hinaus wissen wir, dass wir in der Offensive durchschlagskräftiger werden müssen. Und nicht nur weil Davie Selke und Luca Waldschmidt zurückkehren, sondern auch Sargis Adamyan im Aufwind ist, haben wir für den Rest der Saison hoffentlich mehr Durchschlagskraft in der letzten Linie. Da sind aber alle in die Pflicht, die Jungs in die entsprechende Position zu bringen. Auch ich verbiete keinen Verteidiger, mal eine Ecke einzuköpfen. Dass wir so wenige Tore haben, ist kein Stürmerproblem, sondern eines der gesamten Mannschaft.

Timo Schultz, Holger Stanislawski und Carsten Rothenbach jubeln Mitte Januar 2007 über den Aufstieg aus der damals drittklassigen Regionalliga Nord in die 2. Liga.

Timo Schultz, Holger Stanislawski und Carsten Rothenbach (von links) jubeln Mitte Januar 2007 über den Aufstieg aus der damals drittklassigen Regionalliga Nord in die 2. Liga. imago images

Sie sprachen über Adamyan: Was ist passiert, dass er in dieser Saison vom Tribünenspieler zum Hoffnungsträger wurde?

Spieler sind immer selbst für ihr Schicksal verantwortlich. Sie denken zwar oft, dass ein Trainer sie mag oder nicht, aber wir stellen immer die auf, mit denen wir die höchste Wahrscheinlichkeit haben zu gewinnen. Sargis war verletzt, als ich kam, und hat sich nach seiner Rückkehr von Woche zu Woche gesteigert. Er hat im jeder Einheit Torgefahr ausgestrahlt, war spielstark und unangenehm gegen den Ball. Das kann ein gutes Vorbild für andere sein, die gerade hinten dran sind, wie etwa Steffen Tigges und Florian Dietz. Ich wäre ja schön blöd, als Trainer jemanden außen vor zu lassen, der Tore schießt. Sargis hat es vorgemacht und jeder ist eingeladen, es genauso zu machen.

Was fehlt Tigges und Dietz?

Beide sind in den vergangenen Wochen im Training mehr ins Rollen gekommen. Beide haben ihre Qualitäten, Flo Dietz vor allem auch in der gegnerischen Box. Wir wussten aber auch, dass wir in der Phase vor der Länderspielpause gegen sehr viele gute Mannschaften spielen. Da geht es mehr darum, zu verteidigen und gegen den Ball mehr Meter absolvieren zu müssen. Da liegt sicherlich nicht das Kerngebiet der beiden. Aber beide werden noch extrem wichtig werden, und wenn es nur eine entscheidende Aktion ist.

Wer in Müngersdorf auflaufen darf, dem hängen drei, vier andere im Nacken.

Kölns Trainer Timo Schultz über den Konkurrenzkampf in der Offensive

Nach der Pause stehen Ihnen elf Spieler für vier Positionen in der Offensive zur Verfügung. Das klingt nach unpopulären Entscheidungen …

Die Situation habe ich liebend gern. Das bedeutet Konkurrenzkampf und der belebt das Geschäft. Und selbst wer nicht dabei ist, kann dann in der U 21 Tore schießen und so auf sich aufmerksam machen. Wer in Müngersdorf auflaufen darf, dem hängen drei, vier andere im Nacken.

Sport-Geschäftsführer Christian Keller kritisierte zuletzt die vielen individuellen Fehler des Teams, betonte aber, das liege nicht an der Qualität. Ist das aber nicht dasselbe?

Wenn Fehler gemacht werden, ist ein anderer da, das auszubügeln. Das haben wir in entscheidenden Situationen leider nicht immer geschafft. Jetzt müssen wir aber auch mal die Kirche im Dorf lassen: Wir haben gegen eine richtig gute Leipziger Mannschaft gespielt, und das war das einzige Spiel, seitdem ich hier bin, in dem wir verdient verloren haben. Hinter so was muss ich einen Haken machen. In allen anderen Spielen waren wir auf Augenhöhe, aber auch nicht mehr. Das wird uns für den Rest der Saison nicht reichen. Wir müssen besser sein. Dafür werden wir offensiver und vielleicht auch offensiver und früher wechseln.

Die kommenden Kölner Aufgaben

Können Sie gut leiden?

Ich arbeite gern in diesem Job. Aber ich weiß, dass damit auch negative Erlebnisse verbunden sind. Natürlich fällt mir ein Montagmorgen leichter, wenn wir am Samstag gewonnen haben. Das darf meine tägliche Arbeit aber nicht beeinflussen.

Vereine wie Freiburg haben das perfektioniert, deren Zeithorizont ist gefühlt auf Jahre ausgelegt und nicht auf Tage. Ist das ein Vorbild?

Kontinuität ist im Fußball ein Gut, das sich die Wenigsten leisten können. Alle wollen so sein wie der SC Freiburg, aber fast niemand verhält sich so. Das hat aber gute Gründe. Wir sind als 1. FC Köln gerade nicht in der Lage, die nächsten drei bis fünf Jahre zu planen. Trotzdem sollte man im Hintergrund alle Szenarien durchdenken und das wird auch getan. Für mich als Trainer liegt der Fokus aber auf den nächsten drei bis fünf Wochen. Denn wir brauchen jetzt Leistung und Punkte.

Spieler, die nach Freiburg gingen, wussten: Entweder ich mache es, wie Herr Streich es möchte, oder ich gehe wieder weg.

Timo Schultz

Ihr Vertrag endet im Sommer, sollte Köln absteigen. Können Sie sich vorstellen, trotzdem mit in die 2. Liga zu gehen?

Trainer haben immer das Ziel, etwas aufzubauen. Das würde beim FC total gut passen, weil die Mannschaft auf der einen Seite schon zusammengewachsen ist und auf der anderen Seite Spieler da sind, die sich mit dem Klub identifizieren und entwickeln werden. Unabhängig von der Liga kann ich mir vorstellen, weit über den Sommer hinaus hier tätig zu sein. Ich habe vor, länger hier zu sein.

Die Ära Christian Streich endet dagegen im Sommer definitiv. Was macht das mit Ihnen?

Er ist für mich ein absolutes Vorbild. Spieler, die nach Freiburg gingen, wussten: Entweder ich mache es, wie Herr Streich es möchte, oder ich gehe wieder weg. Da kam niemand auf die Idee, beim Präsidenten anzurufen oder den Berater zum Sportlichen Leiter zu schicken. Das hat er sich durch überragende Arbeit aufgebaut. Eine ähnliche Ära habe ich mit Thomas Schaaf in Bremen erlebt. Das sind besondere Persönlichkeiten. Und auch Streich ging den Weg in die 2. Liga mit. Es zeichnet einen Verein aus, solche Phasen so zu überstehen. Das ist eine Geschichte, die eigentlich im Fußball heute undenkbar geworden ist. Ich bin gespannt, ob das an einem Standort wie Köln auch so möglich wäre wie in Freiburg …

Fehlt dieses Vertrauen den Trainern gegenüber?

Das Geschäft hat sich verändert. Die durchschnittliche Verweildauer bei Klubs liegt inzwischen bei eineinhalb, nicht einmal zwei Jahren. Alles ist schnelllebig geworden, aber das ist nun mal so. Obwohl alle eigentlich wissen, dass es anders erfolgsversprechender wäre. Als Trainer weißt du: Viel Zeit habe ich nicht.

Was unterscheidet den 1. FC Köln nach der Länderspielpause von dem davor?

Wir wissen nicht, ob zwei Siege reichen oder wir es mit fünf Siegen trotzdem nicht schaffen. Wir können nur uns beeinflussen und haben noch acht Möglichkeiten dafür. Die Personallage wird deutlich anders sein, aber auch die Herangehensweise, indem wir versuchen, noch mutiger und offensiver aufzutreten.

Letzte Frage: Wie viel Lust haben Sie darauf, in der Relegation auf Steffen Baumgart und den HSV zu treffen?

Nehme ich!

"Die Lichter waren aus": Wie gelingt Köln noch die Rettung?

alle Videos in der Übersicht