Bundesliga

Littbarski: "Viele sagen zu mir: Herzlichen Dank, Herr Völler"

Völler und Littbarski im großen Doppel-Interview

Littbarski: "Viele sagen zu mir: Herzlichen Dank, Herr Völler"

Zwei Legenden des deutschen Fußballs werden 60 Jahre alt: Rudi Völler und Pierre Littbarski.

Zwei Legenden des deutschen Fußballs werden 60 Jahre alt: Rudi Völler und Pierre Littbarski. imago images (2)

Eigentlich sollte es ein Treffen im Rheinland geben. Dort, wo Rudi Völler lebt und auch Pierre Littbarski einen Großteil seiner Karriere verbracht hat. Das Coronavirus lässt aber ein direktes Wiedersehen der beiden Weltmeister nicht zu. Das Gespräch der fast 60 Jahre alten Fußballgrößen gibt's per Videokonferenz - "auf Augenhöhe", wie Littbarski freudig betont. "Mein Freund, ich habe meine Beine operieren lassen."

Herr Völler, Sie feiern am Ostermontag Ihren 60. Geburtstag, Sie, Herr Littbarski, drei Tage später. Wie fühlt sich das an: Werden Sie 60 Jahre alt oder 60 Jahre jung?

Rudi Völler: Heutzutage fühlen sich die 60 Jahre zehn Jahre jünger an als noch früher. Meinen Vater hielt ich mit 60 für einen richtig alten Mann, heute, glaube ich, sind wir alle jünger geblieben. Ich war gestern sogar noch joggen, obwohl ich auch Knieprobleme habe.

Pierre Littbarski: Wie bitte? Du warst freiwillig joggen?

Völler: Litti, du hast schon recht. Wenn mir das einer vor 30 Jahren gesagt hätte, den hätte ich für verrückt erklärt.

Littbarski: Mit Ball konnte man dich immer laufen lassen. (lacht) Aber es ist schon so: Der Fußball hält uns jung, wir sind mit vielen jungen Menschen zusammen. Andererseits ist es auch etwas deprimierend, wenn ich den Fußball von früher sehe.

Wieso das?

Littbarski: Man hat immer gedacht, man spielt auf höchstem Niveau, heute sieht das doch alles etwas langsamer aus, was wir damals so gemacht haben. Der Fußball von heute ist eine andere Musik. Trotzdem war es einfach eine schöne Zeit.

Die aktuelle Situation ist durch das Coronavirus sehr kompliziert. Fällt die große Geburtstagsparty bei Ihnen aus?

Völler: Ich hatte sowieso nichts richtig Großes geplant, sondern nur eine Feier im engeren Freundes- und Familienkreis. Die Freunde fallen nun leider weg, also werde ich mit meiner Frau und meinen fünf Kindern ganz alleine feiern. Darüber bin ich auch eigentlich gar nicht mal so traurig.

Littbarski: Als junger Mensch konnte ich nie verstehen, warum Leute ihre Geburtstage nicht feiern wollen. Mit 60 nerven mich mittlerweile irgendwelche lustigen GIFs aus dem Internet, die mir zum Geburtstag geschickt werden, da brauche ich erst mal zwei Tage, um die alle wegzudrücken. Es ist alles ein bisschen oberflächlich geworden. Ich habe vier, fünf Freunde, die rufen mich an. Und dann werden wir zu Hause sein, irgendwas Leckeres essen.

Völler: Völlig überraschend wird's beim Litti Sushi geben und bei uns Spaghetti. (lacht)

Littbarski: So sieht das aus! Einer ging nach Italien, der andere nach Japan. Die Wege trennen sich, schön, dass es der kicker möglich macht, dass wir wieder zusammenkommen.

Ich war Poldi 1.0, habe 500.000 Mark vorfinanziert.

Pierre Littbarski

Sind Sie wunschlos glücklich?

Littbarski: Das nicht, wir sind ja Deutsche, ein paar Sachen haben wir immer zu meckern. Aber ich bin sehr happy mit meinem Job als Markenbotschafter beim VfL Wolfsburg, habe seit fast 57 Jahren mit dem Fußball zu tun. Aber die aktuelle Situation finde ich schon beklemmend. Mir fehlt der Austausch mit den Leuten, wenn man zum Beispiel im Stadion ist. Rudi, das ist bei dir doch sicher nicht anders.

Völler: Klar, im Moment sind wir alle irgendwie besorgt. Ich hoffe, dass wir in ein paar Wochen wieder positiver in die Zukunft blicken können. Ich bin glücklich, wenn ich meine Familie bei mir habe.

Sie, Herr Völler, sind zwar drei Tage älter, in der Karriere war Ihnen aber Pierre Littbarski lange Zeit immer einen Schritt voraus. Er hat vor Ihnen in der Nationalmannschaft debütiert, war 1982 schon bei der WM dabei, ging vor Ihnen ins Ausland. War er einfach mutiger als Sie?

Völler: Wer den Kindergärtnerinnen schon mit drei Jahren die Bälle durch die Beine gespielt hat, der ist automatisch ein bisschen weiter. (lacht)

Littbarski: Es gibt aber schon ein paar Dinge bei Rudi, die mich in den Jahren echt ein bisschen neidisch gemacht haben. In der Anfangszeit bei der U 21 war er ein ungeschliffener Diamant, ich weiß noch, wie Berti Vogts versucht hat, ihm Linksflanken beizubringen. Was daraus geworden ist - wow! Am Ende war mir Rudi zwei Schritte voraus, auch als Persönlichkeit. Er wurde Nationaltrainer, hat in der Liga ein unglaubliches Standing, hat Bayer Leverkusen zu dem geformt, was es heute ist. Hut ab!

Völler: Pierre, es gibt für dich wirklich überhaupt keinen Grund, neidisch auf mich zu sein, auf niemanden. Glaube es mir. Viele würden gerne mit dir tauschen. Wie du vom ersten Tag an in Köln die Massen begeistert hast, wie du die Leute schwindelig gespielt hast, das war einmalig.

Littbarski: Wenigstens haben wir uns nicht verbogen. Ich sitze dem gleichen Menschen gegenüber, mit dem ich recht viel Schabernack in der Zeit von 20 bis 30 getrieben habe. Das ist ganz entscheidend, finde ich, dass man sich seine Persönlichkeit erhält.

Und es gibt die eine Auszeichnung, die Sie im Gegensatz zu Rudi Völler erhalten haben.

Littbarski: Da kann ich schnell helfen, weil ich nicht viele Auszeichnungen habe. Das Tor des Jahres!

Völler: Köln gegen Bremen, 1985, ich stand immerhin mit auf dem Platz. Was für ein Tor gegen den Budde (Dieter Burdenski, d. Red.). Wenn ich heute meinen Söhnen erklären müsste, wie Pierre Littbarski gespielt hat, dann würde ich dieses Tor zur Hand nehmen. Durchgewühlt und im Sitzen reingemacht, das konnte nur Litti.

Littbarski: Es gab zwei Torhüter, Budde und Wolfgang Kleff, die nach Toren von mir mal gelächelt haben. Das waren richtige Typen, das war großer Respekt.

Eine Karrieregemeinsamkeit bei Ihnen ist eine Auslandsstation in Frankreich. Sie, Rudi Völler, spielten von 1992 bis 1994 in Marseille. Sie, Pierre Littbarski, 1986/87 beim Racing Club Paris. Welche Bedeutung hatten diese Stationen für Sie?

Littbarski: Es lief für mich sportlich zwar nicht gut. Trainer, Manager, alle, die Deutsch sprachen, wurden gefeuert, und ich war in dieser Riesenstadt ganz auf mich alleine gestellt. Bis dahin war ich der Clown, in dieser Phase aber habe ich den Schritt zum Führungsspieler gemacht. So bin ich zurückgegangen nach Köln.

Indem Sie sich freigekauft haben.

Pierre Littbarski mit Lothar Matthäus

Pierre Littbarski und Lothar Matthäus spielten 1990 im Finale gegen Argentinien durch - und freuten sich anschließend gemeinsam über den WM-Titel. imago images

Littbarski: Wir saßen bei Christoph Daum, neben ihm Udo Lattek. Daum hat mir mit glänzenden Augen erzählt: Litti, das ist grandios, wir wollen dich unbedingt zurückhaben. Du spielst auf der Zehn, Thomas Häßler rechts, das wird großartig. Es gibt bloß ein Problem: Wir haben kein Geld.

Und dann?

Littbarski: Ich war so bekloppt, war Poldi 1.0, wollte unbedingt nach Köln zurück und habe 500.000 Mark vorfinanziert. Unter Daum wurden es meine drei schönsten Jahre in Köln.

Im Gegensatz zu Litti hatte ich mich ja verausgabt im Finale.

Rudi Völler

Ihre Frankreich-Zeit, Herr Völler, war erfolgreicher.

Völler: Ich bin erst im Spätherbst meiner Karriere mit 32 nach Marseille gewechselt. Eine gute Mannschaft, dass wir dann sogar die Champions League gewinnen, war nicht zu erwarten. Für einen wie mich, der wie Litti nicht mit nationalen Titeln gesegnet wurde, war das super. Mir wird noch heute oft gesagt, dass ich ja nie Deutscher Meister geworden bin. Da antworte ich immer gerne: Dafür habe ich die wichtigen Titel gewonnen. Der WM-Sieg, das weiß auch Litti, der steht über allem. Das ist ein Ding für die Ewigkeit.

Wie sehr hat dieser Erfolg von Rom 1990 einzelne Spieler oder diese ganze Gruppe zusammengeschweißt?

Völler: Litti und ich haben jetzt auch nicht den ganz engen Kontakt, hin und wieder sieht man sich mal. Aber dann ist es immer total herzlich und freundschaftlich. Ich persönlich telefoniere häufig mit Andy Brehme, gelegentlich auch mit Thomas Berthold, mit dem ich bei der WM 86 und 90 das Zimmer geteilt habe. Lothar Matthäus sehe ich regelmäßig aufgrund seiner Arbeit bei Sky im Stadion. Aber alle fünf Jahre haben wir unsere Titel-Treffen. Da werden immer die alten Geschichten ausgepackt.

Es war noch eine andere Zeit ...

Völler: Definitiv. Es ist kein Geheimnis, dass die Jungs heute mehr verdienen als wir damals. Trotzdem möchte ich nicht mit ihnen tauschen. Wir standen natürlich auch in der Öffentlichkeit, aber wir wurden nicht so kontrolliert, wie es heute der Fall ist. Wir hatten damals einfach eine wunderschöne Zeit. Die WM 90 war vom Anfang bis zum Ende ein Traum.

Littbarski: Man muss sich nicht tagtäglich anrufen. Aber zwischen die Spieler wie Brehme, Matthäus, Rudi und mir, die schon in der U 21 zusammengespielt haben, passt kein Blatt Papier. Aber Rudi, wo wir schon dabei sind: In der Nacht nach dem WM-Gewinn, da bin ich zu Thomas Berthold ins Zimmer gekommen, da lagst aber nicht du, sondern Uwe Bein. Ich habe ihnen einen Eimer Wasser ins Bett geschüttet. Wo warst du eigentlich?

Völler: Das ist eine gute Frage. (lacht) Vermutlich habe ich irgendwo Karten gespielt - was wir während der WM in einer Vierergruppe sowieso permanent gemacht haben. Oder ich bin irgendwo entkräftet ins Bett gefallen. Im Gegensatz zum Litti hatte ich mich ja verausgabt im Finale.

Wir konnten gegen Argentinien nicht verlieren.

Rudi Völler

Littbarski: Ich habe also nur mit schlappen 50 Prozent gespielt?

Völler: Für Argentinien hat's gereicht. (lacht) 1986 hatten sie den Sieg verdient, aber 1990, auch wenn es nur 1:0 durch einen Strafstoß ausging, waren wir total überlegen. Als die Italiener, die eine Topmannschaft hatten, gegen Argentinien das Halbfinale verloren hatten, sind wir im Teamhotel noch mal alle an die Bar runter, haben ein Bier getrunken. Für uns war klar: Wenn wir am nächsten Tag unser Spiel gegen England gewinnen, sind wir Weltmeister. Wir konnten gegen Argentinien nicht verlieren.

Sie haben den entscheidenden Strafstoß herausgeholt. Hand aufs Herz, Herr Völler: Hätte dieser einem Videobeweis standgehalten?

Völler: Auch eine interessante Frage. Vielleicht wäre er nicht gegeben worden. Aber dann hätte es davor beim Foul an Klaus Augenthaler einen gegeben.

Littbarski: Es wäre die Ungerechtigkeit der Fußballgeschichte gewesen, wenn wir dieses Spiel nicht gewonnen hätten. Wir waren so überlegen, hatten 60, 70 Prozent Ballbesitz. Die Argentinier haben gar nicht versucht, Fußball zu spielen. 1982 und 1986 konnte ich vor den Endspielen nicht schlafen. 1990 habe ich in der Nacht vor dem Finale gepennt wie ein Baby.

Bei der WM 1990 erinnern sich die meisten zunächst nicht an eine sportliche Szene, sondern an Frank Rijkaards Spuckattacke auf Sie im Achtelfinale. Herr Völler, wie ordnen Sie diesen Vorfall 30 Jahre danach ein?

Völler: Ich empfand es immer eine Art Wertschätzung der holländischen Trainer, dass sie Rijkaard ständig gegen mich gestellt haben. Ich glaube aber, dass es ein taktischer Fehler war.

Littbarski: Stimmt, Rijkaard war eigentlich im Mittelfeld ein ganz wichtiger Taktgeber. Und nach den Platzverweisen fehlte er den Holländern etwas mehr als Rudi bei uns ...

Doppel-Rot in der 21. Minute.

Völler: Die Rote Karte für mich habe ich bis heute nicht verstanden. Die Erklärung wird der argentinische Schiedsrichter mit ins Grab nehmen. Aber Litti, du hast recht: Im Nachhinein waren die beiden Platzverweise für uns von Vorteil. Die Holländer waren die ersten 20 Minuten besser, dann konnte Jürgen Klinsmann seine läuferischen Qualitäten ausspielen.

Littbarski: Er hat das Spiel seines Lebens gemacht. Aber ich möchte noch etwas zu der Rot-Szene sagen.

Bitte schön.

Littbarski: Rudi, verzeihe es mir, aber ich konnte mir da ein kleines Lächeln nicht verkneifen, weil du eigentlich für jeden Pott einen Deckel hattest, aber in dieser Situation wusstest du nicht, was los ist. Keiner konnte es verstehen, warum der Schiedsrichter die Rote Karte für dich zückte. Ich wollte sie ihm aus der Hand ziehen ...

Völler: Wenn du angespuckt wirst, auch noch zweimal, ist das nicht schön. Das war aber das viel kleinere Problem. Eine WM ist nur alle vier Jahre, ich war schon 30. Ich habe zwar 1994 noch eine WM gespielt, aber ich bin davon ausgegangen, dass 1990 meine letzte Chance ist, Weltmeister zu werden. Und dann werde ich vom Platz gestellt. Da kann so ein Turnier auch schnell vorbei sein. Das hat mich schwer getroffen.

Alle kennen die Szenen auf dem Platz. Gab es noch ein Nachspiel im Kabinengang des Giuseppe-Meazza-Stadions?

Völler: Die einen sagen so, die anderen so.

Was sagen Sie?

Völler: Wir hatten noch einen kleinen Disput vor unserer Kabine. Aber wie der verlief, behalten Frank Rijkaard und ich für uns.

Rudi Völler mit dem WM-Pokal

Auch Rudi Völler stand im WM-Finale 1990 von Anfang bis Ende auf dem Platz - und holte den entscheidenden Elfmeter raus. imago images

Welcher Moment des Turniers ist bei Ihnen besonders hängen geblieben?

Völler: Die letzten fünf, sechs Minuten im WM-Finale habe ich trotz der knappen 1:0-Führung genossen. Wir waren ja zwei Mann mehr und schon mit elf gegen elf klar überlegen. Wir wussten, wir sind Weltmeister. Die Argentinier kriegen den Ball nicht mehr. Die können uns nicht mal mehr foulen.

Littbarski: Das ging mir genauso. Bei uns steckte in jedem Pass eine gewisse Euphorie, weil wir genau wussten: Das Spiel kann noch 20 Minuten dauern, die kriegen den Ball nicht mehr - aber wir gleich den Pokal. Deshalb war dieser Moment sehr angenehm.

Franz Beckenbauer wandelte damals nach dem Schlusspfiff sinnierend über den Rasen. Wie ist heute Ihr Kontakt zum damaligen Teamchef?

Völler: Ich habe ihn vor vier, fünf Monaten mit Lothar Matthäus und Andreas Brehme in Salzburg besucht. Da ging es darum, ob wir uns im Sommer wieder wie alle fünf Jahre treffen, was ja jetzt hinfällig ist. Beim Abendessen haben wir dann auch über die alten Zeiten gesprochen. Wir sind aber auch zu ihm gekommen, um mit Franz zusammen zu sein. Weil er angeschlagen war, gesundheitlich und auch wegen der Geschichte mit dem Sommermärchen. Da hat man schon gemerkt, dass ihn das mitgenommen hat. Es war einerseits schön, ihn mal wieder zu sehen. Andererseits habe ich auch mit ihm gelitten, weil es ihm nicht so gut ging zu diesem Zeitpunkt.

Littbarski: Ich habe Franz schon 1966, 1970 und 1974 gesehen. Diesen wunderbaren Spieler und Athleten. Und ich habe diese herausragende Persönlichkeit im Kopf. Manchmal ist es dann traurig, wenn man sieht, wie es solchen Menschen heute geht.

Wie haben Sie Beckenbauer als Trainer erlebt?

Völler: Litti hat 1990 ja auch gelegentlich mit dem Franz gehadert. Manchmal hat er gespielt, manchmal nicht. Im Finale hast du das Vertrauen bekommen, wie auch ich. Ich hatte im Halbfinale einen Schlag auf mein Wadenbeinköpfchen bekommen. Und dann gab es am Abend beim Abschlusstraining in Rom eine wunderbare Situation. Ich wollte wegen meiner Probleme mit der Wade noch etwas extra machen. Da kam der Franz und hat gesagt: Bist du bescheuert? Du musst hier nichts beweisen. Du kannst alleine entscheiden, ob du morgen spielst oder nicht. Das war typisch Franz. Das war ein WM-Finale! Einen größeren Vertrauensbeweis gibt es nicht.

Littbarski: Zum Glück hast du für dich entschieden...

Wenn Sie auf Ihre aktive Zeit zurückschauen: Welcher Trainer hat Sie am meisten geprägt?

Littbarski: Für mich waren im Verein zwei Trainer maßgeblich: Hennes Weisweiler, der mich gleich am ersten Spieltag meiner ersten Profi-Saison direkt zum Stammspieler gemacht hat. Und das in der Elf, die im Vorjahr das Double geholt hatte. Solch ein Vertrauen! Der zweite war mit seiner Verrücktheit und positiven Art natürlich Christoph Daum, der es geschafft hat, zu einem guten Spieler noch mal etwas hinzuzufügen. Und schließlich Berti Vogts, der mich zur Nationalmannschaft gebracht und gefördert hat.

Völler: Franz Beckenbauer hat mir immer meine Freiräume gegeben, aber wichtig war besonders Otto Rehhagel. Ich hatte viele gute Trainer, aber Otto war im richtigen Moment der richtige Trainer und Werder Bremen der richtige Verein. Unter ihm konnte ich mich auf dem Platz austoben, so wie es meinem Spiel zugute kam.

Im Jahr 2000 sind Sie, Herr Littbarski, ins Trainerteam von Berti Vogts bei Bayer Leverkusen gewechselt. Was Sie gemacht haben - ein Trainer sitzt oben auf der Tribüne, der andere auf der Bank - wurde damals belächelt, heute macht es jeder. Waren Sie Visionäre?

Littbarski: Berti wurde nie als Visionär gesehen, wurde immer unterschätzt, aber er hatte wirklich grandiose Ideen wie diese. Wir hatten in unserem Team mit Wolfgang Rolff, Toni Schumacher, Berti und mir keine Erfahrungswerte und haben anfangs nicht optimal gearbeitet. Im Endeffekt haben wir nicht die Spiele gewonnen, aber die Idee war überragend.

Als Trainer waren Sie ein Weltenbummler - Japan, Australien, Iran, Liechtenstein. Inwieweit hatten Sie sich diesen Abschnitt anders vorgestellt?

Littbarski: Ich hatte es mir nicht anders vorgestellt. Ich habe es ja selbst so bestimmt. Meine Entscheidung, 1993 nach Japan zu gehen und später dort auch den Trainerschein zu machen, war die beste meines Lebens.

Auch wenn es nicht zu einer großen Trainer-Karriere reichte?

Mit 70 sitze ich sicher nicht mehr hier in meinem schönen Büro.

Rudi Völler

Littbarski: Die Leute sagen oft: Das war ja kein richtiger Fußball in Japan, und du warst nie Trainer eines großen Teams, aber ich habe dort meine Erfüllung gefunden. Ich bin mit den Entscheidungen, auch mit der, nach Deutschland zurückzugehen, wo ich jetzt seit zehn Jahren beim VfL Wolfsburg bin, sehr zufrieden.

Hätte Sie es vor zehn Jahren für möglich gehalten, dass Sie als Weltenbummler in Wolfsburg stranden?

Littbarski: Nicht mit den Vorgaben, die ich für mich bis vielleicht 40 gehabt habe. Da stand meine Karriere im Vordergrund. Jetzt verfolge ich meinen jüngeren Sohn, der bei uns in der U 17 spielt. Ich bin über 20-mal umgezogen in meinem Leben, sehr viel umhergewandert, aber jetzt ist Wolfsburg genau das Richtige für mich.

Herr Völler, würden Sie beim Blick zurück auch alles wieder so machen?

Völler: Im Nachhinein ist das einfach zu sagen, wenn die Dinge im Leben ganz gut funktioniert haben. Aber ich mache mir darüber keine Gedanken. Es ist gekommen, wie es kommen musste. Eine schöne Episode war: 1994 habe ich noch die WM in den USA gespielt. Da stellte sich die Frage: Hänge ich noch ein Jahr in Marseille dran? Aber da gab es den Zwangsabstieg in die 2. Liga. Ich hatte ein paar Anfragen aus Italien, Frankreich und Deutschland. Natürlich nicht mehr die absoluten Reißerklubs, weil ich schon 34 war. Aber ich hatte noch viele Möglichkeiten. An einem Tag bin ich morgens aus dem Haus gegangen und habe meiner Frau gesagt: Ich treffe mich mit ein paar Klubs, muss in den nächsten zwei Tagen ein bisschen umherfliegen. Es geht um Paris oder Benfica Lissabon. Nach zwei Tagen kam ich zurück und habe gesagt: Wir gehen nach Leverkusen. Davon hatte sie noch nie gehört.

Wie kam es zu der Wende?

Völler: Ich war sieben Jahre im Ausland und wollte nach Hause. Und zu Hause war für mich Deutschland. Ich bin froh, dass ich mich für Bayer Leverkusen entschieden habe.

Für viele sind Sie Litti und Rudi. Wie ist es, Duzfreund einer ganzen Nation zu sein?

Littbarski: Das ist in Ordnung. Es kommt auch immer wieder mal vor, dass ich irgendwo erkannt werde. Und, kein Witz, viele Leute sagen zu mir: Sie haben mir in Ihrer Karriere viel Freude gemacht. Herzlichen Dank, Herr Völler!

Tatsächlich?

Littbarski: Ja, es gibt oft Situationen, in denen mich Leute für Rudi oder auch für Thomas Häßler halten. Wenn ich gut drauf bin, springe ich auf den Zug auf.

Völler: Das kenne ich! Obwohl es keine drei unterschiedlicheren Nationaltrainer gibt, werde ich oft als Jürgen Klinsmann oder Berti Vogts angesprochen.

Littbarski: Was ist denn schlimmer?

Völler: ... (lacht)

Humor spielte bei Ihnen immer eine große Rolle, Herr Littbarski. Mit Thomas Häßler spielten Sie 1990 während der WM die TV-Sendung Dingsda nach.

Littbarski: Heute wäre das gar nicht mehr möglich. Ich weiß auch nicht, wie ich heute in der Kabine überleben könnte. Ich habe ja den Kollegen vor dem Anpfiff des Pokalfinals die Schuhe zusammengeknotet. Ich weiß nicht, ob die Spieler diesen Humor heute noch so verstehen könnten, aber ich würde mir wünschen, dass man mehr Sachen mit Humor nehmen würde. Es ist heute recht stressig, Fußball-Profi zu sein. Das war zu unserer Zeit schöner.

Nach dem Rückblick ein Ausblick: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Völler: Mit 70 sitze ich sicher nicht mehr hier in meinem schönen Büro im Stadion. Ein paar Jährchen werde ich noch machen bei Bayer. Darüber, was in zehn Jahren ist, habe ich mir noch nie Gedanken gemacht.

Auch nicht darüber, wo Sie dann leben wollen?

Völler: Ich bin wie Litti ja schon oft umgezogen, ich fühle mich da zu Hause, wo meine Familie ist. Natürlich habe ich noch Bezug zu einer Heimatstadt Hanau, ich fühle mich wohl im Rheinland, ich habe aber auch noch Familie in Rom. Vielleicht bin ich am Ende meiner Tage auch dort. Mal gucken.

Und Sie, Herr Littbarski?

Littbarski: Ich fühle mich in Wolfsburg wohl. Aber generell würde ich gerne zwischen Deutschland, Australien und Japan pendeln, die Zeit genießen. Obwohl ich gerne zu Hause bin, möchte ich auch mit 70 Jahren noch ein bisschen unterwegs sein. In allen drei Ländern habe ich Leute, die ich gerne treffe. Das möchte ich nicht missen.

Interview: Thomas Hiete, Stephan von Nocks

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