Europameisterschaft

Handball-EM: Frankreich stoppt Schweden und steht im Finale

Titelverteidiger scheitert spektakulär am Olympiasieger

Direkter Freiwurf erzwingt Verlängerung: Frankreich bremst Schweden aus

Die entscheidende Szene: Elohim Prandi verwandelte nach Ablauf der Uhr einen Freiwurf direkt.

Die entscheidende Szene: Elohim Prandi verwandelte nach Ablauf der Uhr einen Freiwurf direkt. imago images

Aus Köln berichtet Maximilian Schmidt

Nach Ungarns historischem fünften Platz stand in Köln am frühen Freitagabend das erste Halbfinale an. Es war eines mit Vorgeschichte - in den letzten vier Semifinals bei großen Turnieren waren Schweden und Frankreich direkt aufeinandergetroffen. Personelle Überraschungen gab es in beiden Kadern nicht.

Start des EM-Finalwochenendes

Einen klaren Schlachtplan hatten sich die Kontrahenten im Vorfeld überlegt. Frankreichs Kapitän Luka Karabatic hatte mitunter angekündigt, als "Learning" aus den Niederlagen gegen die Schweden möglichst fehlerfrei spielen zu wollen. Dazu passten allerdings die ersten Szenen des Spiels nicht. Der Rekord-Weltmeister begann hastig, Nedim Remili feuerte einen Ball unmotiviert in den Block, blitzschnell schaltete Schweden wie angekündigt um und ging durch Ex-Flensburger Hampus Wanne in Führung (2:1).

Bei den Torhütern erwischte Andreas Palicka den deutlich besseren Start, nahm auch Kreisläufer Ludovic Fabregas einen völlig freien Ball weg. Vorne donnerte Jim Gottfridsson den Ball zum 3:1 ins Tor. Diesen starken ersten Eindruck konnte die Mannschaft von Trainer Glenn Solberg, dessen Führungsstil im Vorfeld Thema war, allerdings nicht bestätigen.

Claar bricht Schwedens "Tor-Fluch"

Frankreich steigerte sich enorm, Schweden baute ab. Symbolisch dafür stand Keeper Samir Bellahcene vom THW Kiel, der urplötzlich aufdrehte und fünf schwedische Würfe in Folge wegnahm - zur Pause waren es beim 28-Jährigen bereits sieben Paraden (Fangquote von 39 Prozent).

Damit war Bellahcene Garant dafür, dass Frankreich auf fünf Tore davonzog (9:4). Solberg musste mit einer Auszeit etwas versuchen (14.). Doch Les Experts gaben auch in der Folge den Ton an. Magdeburgs Felix Claar brach bei Schweden den "Tor-Fluch" nach knapp neun Minuten ohne Treffer - da stand es allerdings bereits 5:12.

Beim 9:13 schnupperten die Schweden nochmal am Anschluss, doch Frankreich spielte es mit seiner ganzen Klasse herunter. Jeder Fehler der Skandinavier wurden gnadenlos bestraft, womit sich auch der 17:11-Pausenstand erklärt. 

"Der EM-Modus gehört definitiv hinterfragt"

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Nach dem Seitenwechsel waren beide Teams wie ausgewechselt: Frankreich produzierte Fehler, Schweden drückte das Gaspedal maximal und bis zum Boden durch. Der Vorsprung schmolz binnen Minuten dahin, ehe der französische Coach Guillaume Gille bei 17:18 die überfällige Auszeit nahm (38.).

Frankreich zweifelte nun offensichtlich, Schweden überzeugte neben aggressiver Deckungsarbeit mit handlungsschnellen Aktionen. Beim 18:18-Ausgleich von Jonathan Carlsbogard gab es den bis dato wohl lautesten Jubelschrei in der Lanxess Arena, in der sich ein Großteil des neutralen Publikums auf die schwedische Seite geschlagen hatte.

Claar geht auch als Torschütze voran - Prandis Kunststück

Und auch von einem erneuten Zwei-Tore-Rückstand ließen sich die Skandinavier nicht mehr aus ihrer nun gewonnenen Ruhe bringen. Eine extrem wichtige Rolle nahm in dieser Phase PSG-Keeper Palicka ein, der mit einer Doppelparade gegen Siebenmeter-Schütze Hugo Descat die Kölner Arena toben ließ (19:21).

Vorne zog Magdeburgs überragender Spielmacher Claar die Fäden und ging auch als Torschütze voran: Sein achter Treffer zum 23:22 acht Minuten vor dem Ende bedeutete die erste schwedische Führung seit der 6. Minute. Hochspannung war nun garantiert. In Überzahl stellte Wanne erstmals seit dem 3:1 wieder auf Zwei-Tore-Führung für den Titelverteidiger (25:23, 55.).

Diesen Vorsprung behauptete Schweden bis in die allerletzte Spielminute, in der Gille mit einer Auszeit noch eine Wende herbeiführen wollte. Gottfridsson gab im letzten Angriff bei 26:27 auch den Ball wegen eines Schrittfehlers nochmal ab und hielt Frankreichs Mini-Chance am Leben. Ein direkter Freiwurf war der letzte Ausweg für den Rekord-Weltmeister - und den nahm PSG-Profi Elohim Prandi sensationell. Durch sein 27:27 erzwang er tatsächlich eine Verlängerung.

Geschockte Schweden völlig von der Rolle

Schwer geschockte Schweden hatten ganz offensichtlich mit dem spektakulären Ausgleich zu kämpfen, das Momentum war nun klar auf Seiten der Franzosen. Ein schneller 3:0-Lauf stellte die Weichen für den französischen Finaleinzug. Bellahcene-Vertreter Remi Desbonnet kroch auch noch in die Köpfe der Skandinavier und ließ keine Zweifel mehr am Comeback-Sieg aufkommen. Am Ende stand ein 34:30 für den gefühlt schon geschlagenen Olympiasieger.

Im Finale trifft Frankreich am Sonntag (17.45 Uhr) auf den Sieger des Duells zwischen Deutschland und Dänemark. Der Verlierer dieses zweiten EM-Halbfinals fordert Schweden, das seinen Titel nicht mehr verteidigen kann, am gleichen Tag bereits ab 15 Uhr.

Frankreich - Schweden 34:30 n.V. (27:27, 17:11)

Frankreich: Bellahcene (9 Paraden), Desbonnet (4 Paraden) - Descat 8/3, Mem 6, Remili 5, Fabregas 4, Y. Lenne 4, Nahi 3, Prandi 3, Mahé 1/1, L. Karabatic, N. Karabatic, Konan, Porte, Richardson, Tournat

Schweden: Palicka (15 Paraden, davon 3 Siebenmeter), Thulin - Claar 9, Darj 5, Wanne 5, Gottfridsson 4, Carlsbogard 3, Sandell 2, Johansson 1, Lagergren 1, Bergendahl, Karlsson, A. Nilsson, Pellas, D. Pettersson, Wallinius

Zuschauer: 19.750 (ausverkauft)
Schiedsrichter: Slave Nikolov / Gjorgji Nachevski (Nordmazedonien)
Strafminuten: 8 / 2
Disqualifikation: - / -

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