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Nach 33 Jahren: SSC Neapel ist wieder Meister der Serie A

Karenzzeit für "verspotteten" Erfolgstrainer und Partenopei vorbei

Die Krönung einer außergewöhnlichen Verbindung: Napoli ist Meister

Die neuen Napoli-Helden nach Diego Maradona: Kapitän Giovanni di Lorenzo, Torjäger Victor Osimhen und Dribbelkünstler Khvicha Kvaratskhelia (v.l.).

Die neuen Napoli-Helden nach Diego Maradona: Kapitän Giovanni di Lorenzo, Torjäger Victor Osimhen und Dribbelkünstler Khvicha Kvaratskhelia (v.l.). IMAGO/Buzzi

Ein Stoppschild namens Juventus hatte sich in den letzten Jahren sehr häufig vor der SSC Neapel und Trainer Luciano Spalletti aufgetürmt. Nun aber ist der süditalienische Express an der Konkurrenz vorbeigerast - und steht vollkommen verdient da, wo der Traditionsklub vom Vesuv schon so lange nicht mehr stand.

Allein vier Vize-Meisterschaften und drei dritte Plätze in den jüngsten zehn Serie-A-Jahren verdeutlichen, wie nah der stolze Klub aus Neapel in der Vergangenheit am ersehnten Scudetto dran war. Und genau in dieser Zeitraum triumphierte oft Serien- und Rekordmeister Juventus, der Rivale aus dem hohen Norden.

Napoli feiert den Scudetto: Eine Stadt außer Rand und Band

Gerade Vereinspräsident und SSC-Besitzer Aurelio De Laurentiis (73) hatte in dieser Zeit immer wieder gegen die Turiner gestichelt, Kampfansagen getätigt - und schließlich 2021 Trainer Spalletti an Land gezogen. Ein Glücksgriff.

Der 64-Jährige passte von Anfang an mit seiner Vorstellung von offensivgeprägtem Fußball - wie sie auch Ex-Trainer Maurizio Sarri (64, inzwischen bei Lazio Rom) gelebt hatte - zur Vereinsphilosphoie der Partenopei. Und er kannte das sportliche Leid aus ähnlichen, eigenen Erfahrungen. Denn in Italien arbeitete der von vielen Trainerkollegen sehr geschätzte Spalletti bereits für Empoli, Sampdoria, Udinese, die Roma, Inter - und gewann, man ahnt es schon, dennoch keinen Meistertitel.

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Die Sehnsucht einer Stadt: Neapels neue Helden am Ziel

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Viermal Vierter mit Inter, einmal Vierter mit Udinese und fünf verpasste Scudetti in seinen an sich erfolgreichen Roma-Jahren (viermal Vize-Meister, einmal Dritter): Die Sehnsucht nach einem Titel dürfte genauso groß gewesen sein wie die von ganz Neapel, das die letzten großen Tage in den Saisons 1986/87 und 1989/90 mit der ewigen Vereinslegende Diego Armando Maradona erlebt hatte.

Die neue Generation

Gut möglich also, dass gerade diese Verbindung die beiden Parteien immer mehr zusammengeschweißt und den nun endlich auch rechnerisch fixierten Coup möglich gemacht hatte. Nachdem am jüngsten Wochenende (32. Spieltag) der letzte Schritt zur Meisterschaft trotz kurzfristiger Spielplananpassung der Serie A noch verpasst worden war (nur 1:1 im Heimspiel gegen Salernitana), hatte der Titel zunächst auch rechnerisch an diesem Mittwochabend noch nicht festgestanden, weil Lazio Rom mit 2:0 Sassuolo besiegt hatte. Einen Tag später war es aber soweit: Der designierte Titelträger strich mit einem 1:1 in Udine auch das "designierte" endlich weg und feierte.

Kurzum: Die Karenzzeit oder die so oft von Juventus gesetzte Scudetto-Sperrfrist, sie wurde nach langen 33 Jahren ad acta gelegt.

Dass die Meisterschaft an Napoli gehen würde, stand schon länger fest. Zu sehr war der neapolitanische Express mit den beiden Aushängeschildern Victor Osimhen (24) und Khvicha Kvaratskhelia (22) der Konkurrenz um Meister Milan, Inter, der Roma und eben auch Juventus enteilt. Allein die wenig geschätzte Alte Dame war erst kürzlich mit einem spät erreichten 1:0 in deren Stadion auf 19 (!) Zähler distanziert worden.

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Kein Wunder, dass schon nach diesem 25. Saisonsieg extrem emotional der Quasi-Scudetto gefeiert wurde, Rollerkolonnen mit SSC-Fans durch die Straßen düsten und die ohnehin den Fußball atmende Stadt am Vesuv nur noch mehr Fahnen, Flaggen und Trikots präsentierte.

Dabei sind die Häuserfassaden in und um Neapel schon seit vielen Jahrzehnten mit Fahnen der Partenopei geschmückt, in den kleinen Gassen rund um die Via Toledo hängen lange Bänder in den Vereinsfarben hellblau und weiß, dazwischen verzieren Spielerporträts der aktuellen Generation das Bild, das sich für Neapolitaner und Touristen ergibt. Nur jetzt darf dieser Generation auch gehuldigt werden.

Tiefe Einblicke von Spalletti

Nach dem 1:0 bei Juve sprach ein sichtlich gelöster Spalletti über das, was er als Trainer und Neapel als Klub seit Jahrzehnten so sehr herbeigesehnt hatte. "Wenn man so wichtige Spiele wie dieses gegen Gegner auf einem solch hohen Niveau gewinnt und so kurz vor Saisonende oben steht, ist das wie das Setzen der letzten Steine in der Mauer zum endgültigen Triumph", so der SSC-Coach bei DAZN.

Luciano Spalletti

Hat die fußballverrückte Stadt Napoli, den stolzen Klub und sich selbst mit dem Scudetto beschenkt: SSC-Trainer Luciano Spalletti. IMAGO/Nicolo Campo

Den Scudetto mochte der nahe Florenz geborene und ehemals semi-professionell (Serie C) kickende Spalletti noch nicht ausrufen: "Lasst uns warten, bevor wir die Champagnerkorken knallen lassen." Und dennoch "habe ich der Mannschaft gratuliert, weil sie gut gespielt hat und es wenige Tage nach dem Ausscheiden aus der Champions League (verpasster Halbfinaleinzug gegen Milan; Anm. d. Red.) nicht einfach war."

Ich wurde oft verspottet, weil ich Fußballschuhe an der Seitenlinie trage, aber ich erinnere mich, als ich diese Schuhe unbedingt haben wollte und es mir nicht leisten konnte, sie zu bekommen.

Luciano Spalletti

Letztlich deutete der Trainer "ohne System" den Titelgewinn doch selbst an - vor allem mit diesen Sätzen: "Hin und wieder blickt man zurück. Ich bin nicht in der ersten Klasse herumgefahren und habe aus dem Fenster geschaut, sondern war in meiner Karriere per Anhalter unterwegs. Wenn man also am Ende dieser Reise in der Lage ist, diesen Scudetto zu gewinnen, belohnt er dich für all die Opfer, die du im Laufe der Jahre erbracht hast."

Deswegen sei dieser Erfolg auch für ihn ganz persönlich "befriedigend. Ich wurde oft verspottet, weil ich Fußballschuhe an der Seitenlinie trage, aber ich erinnere mich, als ich diese Schuhe unbedingt haben wollte und es mir nicht leisten konnte, sie zu bekommen. Es war vielleicht ein härterer Weg als bei anderen, die auf unterschiedlichen Ebenen starten. Sie haben sich Respekt und Bewunderung für ihre Spielerkarriere verdient, um die Gelegenheit zu bekommen, ein Spitzenteam von Anfang an zu führen." Er habe sich all das erarbeiten müssen - und steht nun, wie auch Napoli, nach langer Zeit verdient ganz oben. 

Markus Grillenberger

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