Int. Fußball

Die Schweiz diskutiert über Lukas Görtlers Rote Karte

St. Gallens Kapitän fliegt gegen Lugano früh vom Platz

Wenn selbst das Herz des Schiedsrichters weint: Die Schweiz diskutiert über Görtlers Rote Karte

Kann es nicht fassen: Lukas Görtler fliegt gegen Lugano mit einer frühen Roten Karte vom Platz.

Kann es nicht fassen: Lukas Görtler fliegt gegen Lugano mit einer frühen Roten Karte vom Platz. picture alliance/KEYSTONE

Es waren noch nicht einmal zwei Minuten gespielt im Kybunpark von St. Gallen. Der heimische FC im Duell mit dem FC Lugano, neun Heimsiege in Serie haben die "Espen" in der Tabelle weit nach oben gespült, nur noch die Young Boys aus Bern liegen vor dem Traditionsverein.

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Die erwartungsfrohe Stimmung unter den 17.179 Fans erhält einen frühen Dämpfer, als Lukas Görtler in der 2. Spielminute mit Jonathan Sabbatini zusammenprallt. Die TV-Bilder zeigen, dass der auf dem rechten Flügel flankende Görtler zuerst den Ball trifft, diesen klar und sauber ins Zentrum spielt, ohne ein Foul zu beabsichtigen. Sabbatini kommt einen Tick zu spät, verfehlt den Ball, ehe beide zu Boden gehen. Tendenziell eher ein Foul des Lugano-Profis. Möchte man meinen. Der Schiedsrichter lässt weiterlaufen, doch dann holt der VAR seinen Kollegen Lukas Fähndrich nach draußen an den Schirm.

"Eine Rote Karte, die mir eigentlich widerstrebt"

Es geht nun darum, dass Görtlers Schwungbein nach dem Schuss auf das Bein des Kontrahenten prallt. Darauf weist der Video-Referee Lionel Tschudi Fähndrich hin. Und der tut, was er gemäß der Regularien tun muss: Quasi einem Automatismus gleichkommend, bedeutet die Tatsache, dass Görtler Sabbatini oberhalb des Knöchels mit der Sohle erwischt, Platzverweis für den Kapitän der "Espen" (5.).

Die daraufhin in Unterzahl zwar lange mithalten, am Ende aber doch mit 1:4 verlieren.

Der ehemalige Schweizer Schiedsrichter Urs Meier

Kritisiert die harte Regelauslegung: Urs Meier. picture alliance/dpa/Kessler-Sportfotografie

Görtler (29) erhält nach dem Spiel Zuspruch von allen Seiten. Ob es sein Trainer Peter Zeidler ist, ob es die TV-Experten Benjamin Huggel oder Ex-FIFA-Schiedsrichter Urs Meier sind - und ob es sogar Referee Fähndrich selbst ist: Alle finden diesen Platzverweis gegen den Oberfranken nicht gerechtfertigt. "Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mein Fußballer-Herz in diesem Moment weinte, weil ich ganz genau wusste, dass ich hier eine Rote Karte gebe, die mir eigentlich widerstrebt", sagte der Unparteiische, der zugleich aufs Regelwerk verwies, sich aber bewusst war, "dass es eine Entscheidung ist, die ich nicht treffen wollte, die die Fußballwelt nicht versteht, und ich habe absolutes Verständnis, dass das nicht die Entscheidung ist, die man möchte."

Der ehemalige Spitzen-Referee Meier nahm im "Blick" den Video-Schiedsrichter ins Korn. "Der VAR greift ein, wie man das wahrscheinlich in der Schiedsrichter-Schulung auf Gran Canaria gelernt hat. Weil es eine Weisung von der FIFA und der UEFA gibt. Dann schlägt das Pendel aus und es gibt solche übertriebenen Entscheidungen."

Görtler weiter unzufrieden: "Als hätte man keinen Interpretationsspielraum"

Eine Entscheidung, die dazu führte, dass Görtler vom Sportgericht für zwei Spiele aus dem Verkehr gezogen wurde. Und das, obwohl Fahrlässigkeit und Vorsatz auszuschließen sind, Görtler einfach nur den Ball spielt. So lautet der Tenor unter den Kommentierenden. Der Foulende ist eigentlich Sabbatini. Vielen fehlt zudem der Ermessensspielraum bei solchen Zweikampfsituationen. Auch der Spieler selbst zeigte in einem Instagram-Post am Tag nach dem Spiel Unverständnis und stellte die Frage: "Wenn niemand diesen Entscheid will, nicht Fußballer, nicht Fan, nicht einmal die Schiedsrichter selbst, warum fällen wir ihn dann?"

Die Auslegung, dass ein voller Kontakt mit offener Sohle oberhalb des Knöchels ein grobes Foulspiel darstellt und zwingend Rot nach sich ziehe, stamme von der UEFA, erklärt der Schweizer Schiedsrichter-Chef Dani Wermelinger sich in die rege Diskussion einschaltend. "Sie wird laufend an die Nationalverbände vorgegeben", wird der Funktionär vom "Blick" zitiert. Görtler lässt dies unzufrieden zurück. Ihn stört, dass alles auf FIFA und UEFA geschoben werde, "als hätte man keinen Interpretationsspielraum". Wie er dem kicker am Dienstag sagte, habe ihm bisher keiner zeigen können, "wie denn genau diese Weisung aussieht, dass hier zwingend Rot gegeben werden muss".

SFV will an die UEFA herantreten

Der Schweizer Fußballverband SFV indes will die Sache nun grundsätzlich angehen. Wermelinger: "Wir haben das Thema schon länger auf dem Radar. Es stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen, wenn es zu einem Treffer mit offener Sohle kommt, der Spieler jedoch nichts dafür kann. Da müssen wir uns überlegen, welche Möglichkeiten uns das Reglement und die Regelauslegung der internationalen Verbände geben." Der SFV werde mit der UEFA "über die Auslegung sprechen, um dann für die neue Saison Anpassungen zu machen."

Anpassungen, die dem früheren Bayern- und Lautern-Profi Görtler, seit 2019 in der Ostschweiz Leistungsträger, aktuell natürlich nicht weiterhelfen. Auch der Protest, den sein Verein gegen den Richterspruch am Montag noch einlegte, wird erfahrungsgemäß verpuffen, der Mittelfeldspieler am Mittwoch gegen Servette Genf sowie im darauffolgenden Spiel beim FC Luzern fehlen.

Andreas Holzmann

Görtler, Kade & Co.: Deutsche Legionäre in der Schweiz