Bundesliga

Lieblingsspiel: Als Lautern die Bayern in 66 Sekunden bezwang

Bundesliga, 1. FC Kaiserslautern - Bayern München, 27. August 2010

Lieblingsspiel: Als Lautern die Bayern in 66 Sekunden bezwang

Ivo Ilicevic (li.) war der Mann des Abends, als der 1. FC Kaiserslautern Thomas Müller (re.) und den FC Bayern im August 2010 bezwang.

Ivo Ilicevic (li.) war der Mann des Abends, als der 1. FC Kaiserslautern Thomas Müller (re.) und den FC Bayern im August 2010 bezwang. imago images (3)

Sofort ist da ein Rauschen, wenn die Gedanken an diesen 27. August 2010 zurückgehen. Ein Rauschen in den Ohren, ein Kitzeln am Trommelfell, das wie eine unsichtbare Tätowierung an eines der letzten größeren Highlights der jüngsten Vereinsgeschichte des 1. FC Kaiserslautern erinnert.

Es ist ein angenehmer Sommertag, dieser Freitag im August, an dem der FCK nach über vier Jahren endlich wieder ein Heimspiel in der Bundesliga bestreiten darf. Der steile Anstieg den Betzenberg hinauf fällt leicht, ist der Saisonauftakt eine Woche zuvor durch ein 3:1 in Köln doch gelungen. Und nun kommt der FC Bayern ins Fritz-Walter-Stadion.

"1. Liga": Die FCK-Fans feiern vor dem Anpfiff der Partie gegen Bayern die Rückkehr in die Bundesliga. imago images

Laut, chaotisch, wild

Die Münchner sind amtierender Meister, amtierender Pokalsieger, Champions-League-Finalist und gespickt mit Nationalspielern, die wenige Wochen zuvor bei der WM in Südafrika für Furore gesorgt haben. Der ewige Rivale ist den Lauterern schon damals weit enteilt.

Eine Rolle spielt das an diesem Abend aber nicht. Als sich wenige Bayern-Profis lange vor dem Anpfiff das erste Mal auf den Rasen wagen, um sich von den Begebenheiten einen Eindruck zu verschaffen, schlägt ihnen ein derart lautes Pfeifkonzert entgegen, das sogar die Musik aus den Stadionboxen locker übertönt. Das erste Ausrufezeichen der meisten der 49.780 Zuschauer.

Laut, chaotisch, wild und durcheinander geht es fortan auf der Lauterer Westkurve zu, ein Mix aus Rufen, Gesängen, Jubel, Gesten, geballten Fäusten. Ein brodelnder Vulkan, der offensichtlich nur gewartet hat, endlich wieder ausbrechen zu dürfen. Und zurückhaltend oder gar demütig ist dieses anarchische Gebilde nicht - wie sollte es in Lautern auch anders sein. "Wisst ihr noch, wie's damals war?", wird auf einem Spruchband eine vollmundige, rhetorische Frage in Richtung des ebenfalls dicht gefüllten Gästeblocks gestellt. Die Antwort liefert der heimische Anhang gleich mit: "Deutscher Meister wird nur der FCK!"

Ivo Ilicevic

Traumtor zur Führung: Ivo Ilicevic dreht nach dem 1:0 jubelnd ab. imago images

Mit dem Anpfiff steigert sich das Ganze in einen tobenden Sturm, den das ZDF-Sportstudio später als "die Wiedergeburt des Wahnsinns" bezeichnen wird. Die Aktionen der in Weiß spielenden Bayern werden vom überwiegenden Teil der Zuschauer mit gellenden Pfiffen begleitet, Ballgewinne der technisch klar unterlegenen Roten Teufel euphorisch gefeiert. "Der Double-Gewinner ließ den Ball laufen, die Lauterer liefen um ihr Leben", heißt es später im kicker.

24 Minuten sind gespielt, als das Wahrscheinliche zu passieren scheint. Die etwas naive Lauterer Abwehr lässt sich mit einem einfachen Doppelpass aushebeln, plötzlich tauchen WM-Torschützenkönig Thomas Müller und zwei weitere Münchner, darunter der verlorene Lauterer Sohn Miro Klose, frei vor Tobias Sippel auf - und Müller schiebt den Ball am langen Eck vorbei. Der kurze Schreckmoment im Lauterer Fanlager entlädt sich in laute, feixende Häme.

Der Schreck ist verdaut, dann bricht es in der 36. Minute über den FC Bayern herein. Florian Dick erobert auf dem rechten Flügel den Ball und bedient Christian Tiffert. Adam Nemec lässt dessen scharfen Flachpass ins Zentrum zu Ivo Ilicevic durch, der aus rund 20 Metern nicht zögert und die Kugel per Direktabnahme wunderschön an Hans-Jörg Butt vorbei in die Maschen schießt. Ein Traumtor, das den Betzenberg bis in seine tiefsten Schichten erschüttert.

Marco Kurz

FCK-Trainer Marco Kurz führte den FCK in die Bundesliga. imago images

66 unglaubliche Sekunden

Das Beben kommt von oben und unten. Ein Donnern, ein wilder Jubelschrei, der Boden wackelt, das Trommelfell vibriert und droht vor lauter Lärm zu platzen. Auf den Rängen bildet sich eine einzige große Jubeltraube. Es steht 1:0 für den FCK, niemand konnte das erwarten und tat es doch. Was ist hier los?

Den Anstoß, den die Bayern ausführen, sehen nur die wenigsten Zuschauer, sie sehen auch nicht, wie die Gäste den Ball wenige Meter hinter der Mittellinie sofort verlieren. Sie sehen nicht, wie Tiffert einen gelupften Pass in den Lauf von Ilicevic spielt. Nasse Haare werden nach den unzähligen Bierduschen gerade notdürftig zurechtgestrichen, der Stadionsprecher verkündet noch den Torschützen, da bricht es wieder los: Ilicevic spielt vor dem Strafraum einen Querpass. Holger Badstuber tritt am Ball vorbei. Ein schrilles Gekreische setzt ein und sorgt für hektische Blicke auf den Rasen. Ein Sog geht über die Tribüne, Srdjan Lakic ist frei, er ist frei - und drückt den Ball aus wenigen Metern über die Linie.

66 Sekunden nach dem 1:0 steht es 2:0. Es gibt kein Halten. Bierduschen gibt es diesmal nicht, die Becher sind ja noch leer. Dafür fliegen Schals, Fahnen und Mützen quer über die Reihen. Die Leute liegen sich in den Armen, der Boden wackelt, die Knie zittern, das Trommelfell vibriert, es rauscht im Ohr. Es ist nicht zu fassen.

Zur Halbzeit wird die Blitztabelle eingeblendet. Und da es Freitagabend ist, keine Parallelspiele stattfinden, steht der FCK mit sechs Punkten auf Platz eins. Das Standbild wird wie ein Titel gefeiert. "Wisst ihr noch, wie's damals war?"

Die FCK-Fans jubeln mit ihrer Mannschaft nach dem 2:0 gegen Bayern

"Deutscher Meister wird nur der FCK!" - Am Ende reichte es allerdings "nur" zum siebten Platz. imago images

Natürlich setzt Fritz-Walter-Wetter ein

Die zweiten 45 Minuten fliegen vorbei. Natürlich setzt kurzzeitig Regen ein - Fritz-Walter-Wetter. Klar sind die Bayern die bessere Mannschaft. Doch so sehr der Rekordmeister auch auf den Anschluss drängt, 70 Prozent Ballbesitz hat - es bleibt beim 2:0. Nicht mal der Platzverweis für Traumtor-Schütze und Vorbereiter Ilicevic kann daran etwas ändern. Am Ende werden tausende weiße Taschentücher auf den Rängen ausgepackt, die Münchner nach Hause verabschiedet. "Drum sagen wir, auf Wiedersehen..." Keine Demut, jetzt erst recht nicht mehr.

Der Schlusspfiff geht in donnernden Jubel über. Der donnernde Jubel in ausgelassene Gesänge. Ausgiebig wird der Coup gefeiert, dann geht es den Betzenberg runter. Die Jubelkarawane löst sich auf, in alle Himmelsrichtung, Jubelschreie aus jeder Ecke. Was bleibt, ist der Unglaube über 66 wahnsinnige Sekunden. Und ein Rauschen im Ohr.

Frederik Paulus

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