Int. Fußball

Türkei: Wie Trabzonspor die Istanbuler Großklubs ärgert

Bereits zwölf Punkte Vorsprung auf den ersten Verfolger

Das Vermächtnis der Schiebermütze: Wie Trabzonspor ganz Istanbul ärgert

Erfolgstrio: Marek Hamsik, Klubboss Ahmet Agaoglu und Trainer Abdullah Avci (v.li.).

Erfolgstrio: Marek Hamsik, Klubboss Ahmet Agaoglu und Trainer Abdullah Avci (v.li.). imago images (3)

Gerade mal 15 von 38 Ligaspielen sind in der Türkei absolviert, doch schon jetzt kristallisiert sich ein klarer Meisterschaftsfavorit heraus. Und der stammt ausnahmsweise mal nicht aus Istanbul. Seit 1985 kam der Meister nur ein einziges Mal nicht aus der bevölkerungsreichsten Stadt der Türkei. Als Bursaspor die erdrückende Dominanz der Istanbuler Klubs durchbrach, landeten Schalke und Bremen in der Bundesliga hinter Meister Bayern München - und Hertha BSC stieg mit nur 24 Punkten als Tabellenletzter ab. Seit der beschriebenen Saison 2009/10 standen Galatasaray fünfmal, Besiktas dreimal, Fenerbahce zweimal und Basaksehir einmal ganz oben.

Es gab aber auch eine Zeit des Aufbegehrens. Und die ist ganz eng mit Trabzonspor verknüpft. Der heutige Spitzenreiter war 1976 der erste Meister der 1959 eingeführten SüperLig, der nicht aus Istanbul stammte. Bis 1984 gewann der generell beliebte Klub vom Schwarzen Meer noch fünf weitere Male den wichtigsten nationalen Titel.

Erinnerungen an Özyazici

Überbleibsel aus dieser Zeit ist die ikonische Schiebermütze von Erfolgstrainer Ahmet Suat Özyazici, die noch heute von Fans kultiviert wird. Auch Abdullah Avci, seit November 2020 in Trabzon an der Seitenlinie, bediente sich diesem Kult schon. Ob seiner Vergangenheit als Spieler vom ebenfalls am Schwarzen Meer gelegenen Rivalen Rizespor wurde Avci zu Beginn noch kritisch beäugt. Seit Anfang März ist Trabzonspor allerdings mittlerweile ohne Niederlage - und Avci längst Liebling. Mit dem 2:0 gegen Adana Demirspor überbot der 58-Jährige am vergangenen Wochenende sogar die lange Erfolgsserie von Senol Günes Mitte der Neunziger, als Trabzonspor nach 26 ungeschlagenen Ligaspielen in Folge erstmals wieder verlor.

Trabzonspor ist zu 97 Prozent Meister.

Ridvan Dilmen

Die erste türkische Meisterschaft seit 1984 scheint schon jetzt zum Greifen nahe. "Trabzonspor ist zu 97 Prozent Meister", prognostizierte jüngst der frühere türkische Nationalspieler und heutige TV-Experte Ridvan Dilmen. Avci würde der Titel wohl besonders süß schmecken: Von 2014 bis 2019 griff er mit Basaksehir vergeblich nach der Meisterschaft, wurde zweimal nur Zweiter. Nachfolger Okan Buruk führte den Erdogan-Klub mit der besonderen Ü-30-Note direkt in seinem ersten Jahr zum Titel. Über Avci brach Hohn und Spott herein, die sportliche Antwort soll spätestens im kommenden Mai folgen.

Trabzonspor steht nicht für Spektakel

Nach 15 Spieltagen beträgt der Vorsprung auf Fenerbahce zwölf Punkte, auf Basaksehir 14 Punkte, auf Galatasaray 16 Punkte und auf Titelverteidiger Besiktas gar 18 Punkte. Erster "Verfolger" ist Konyaspor, das wie Fener bereits zwölf Zähler von Trabzonspor trennen. Zum Vergleich: In der Vorsaison stand Avcis Mannschaft nach 15 Ligapartien bei gerade mal 20 Punkten, nun sind es beeindruckende 19 mehr.

Trabzonspor stellt den besten Angriff der Liga (31 Tore), die beste Abwehr der Liga (11 Gegentreffer) und ist im Gegensatz zu den 98 Mannschaften der fünf europäischen Topligen noch immer ohne Niederlage. Seit dem furiosen 5:1 zum Saisonstart bei Yeni Malatyaspor gewann Trabzonspor in der Liga nur noch einmal mit mehr als zwei Toren Abstand. Doch Avcis Team steht auch nicht für Spektakel. Disziplin und Effizienz zeichnen den türkischen Tabellenführer aus.

Einer, der exemplarisch dafür steht, avancierte nach seiner Ankunft im Sommer schnell zum Liebling der Massen: Marek Hamsik. Im Herbst seiner Karriere löste der Slowake in der Hafenstadt nochmal so etwas wie einen kleinen Hype aus, den ikonischen Irokesenschnitt trug am Schwarzen Meer bald nicht mehr nur der Mittelfeld-Antreiber. Hamsik, am vergangenen Wochenende Torschütze zum entscheidenden 2:0, hält den Taktstock fest in der Hand, die künstlerische Note bringt Anastasios Bakasetas ein. Der 28-jährige Grieche ist mit sieben Treffern aus zwölf Spielen (dazu drei Assists) gleichzeitig auch erfolgreichster Torschütze im Kader. "Ich freue mich über die Unterstützung, und es ist schön, dass wir ganz oben stehen. Aber die eigentliche Schwierigkeit ist, oben zu bleiben", sagte Hamsik Mitte November. Diese Schwierigkeit scheint Trabzon meistern zu können.

Der Kader von Trabzonspor auf einen Blick

Auch, weil die multikulturell besetzte Offensive - von Kapverde über Guinea bis Dänemark - schwer auszurechnen, die Torausbeute gut verteilt ist. Hamsik und der mittlerweile 34-jährige Gervinho sind die einzigen großen Namen. Der Ex-Mainzer Yunus Malli nimmt nur eine kleine Rolle ein (zwei kurze Joker-Einsätze).

"Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Meisterschaft"

Doch Klubboss Ahmet Agaoglu blieb wegen der "desolaten" Finanzlage in der jüngeren Vergangenheit nicht viel anderes übrig, als bei der Kaderzusammenstellung kreativ zu werden. Und die richtige Mischung scheint spätestens im vergangenen Sommer gefunden worden zu sein. Dem "Verein türkischer Sportjournalisten" sagte er in einem Interview Ende November: "Wenn wir die Meisterschaft gewinnen, werde ich darüber nachdenken, wie die Meisterschaftsprämien gezahlt werden, mit welchem Kader ich in der nächsten Saison in der Champions League antreten werde und wie dieser Kader finanziert wird. Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Meisterschaft." Über den Favoritenstatus sind sie in Trabzon gedanklich eh längst hinaus.

Maximilian Schmidt

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