Europa League

Leverkusens Finalniederlage: Wie viel Schuld hat Xabi Alonso?

Coach verzichtete auf "Notstromaggregat" Hofmann

Bayers Stromausfall: Wie viel Schuld hat Xabi Alonso wirklich?

"Wir waren nicht auf unserem besten Niveau - alle, auch ich selbst", stellte Xabi Alonso nachher fest.

"Wir waren nicht auf unserem besten Niveau - alle, auch ich selbst", stellte Xabi Alonso nachher fest. IMAGO/Crystal Pix

Aus Dublin berichten Stephan von Nocks und Leon Elspaß

Es war Bayers mit Abstand schwächstes Saisonspiel. Offensiv harmlos, defensiv viel zu passiv. Dazu eine ganze Reihe individueller Fehler, die nicht alle alleine mit dem starken Pressing und Gegenpressing von Atalanta Bergamo begründet werden konnten. Vielmehr erlebte der Deutsche Meister im Aviva Stadium zu Dublin einen nahezu kollektiven Stromausfall.

Leverkusens Niederlage im Finale der Europa League war so deutlich wie verdient. Ein nahezu kollektives Versagen. Mit einer ganzen Reihe von Leistungsträgern, die an diesem Abend in Dublin nicht annähernd das abriefen, was sie zuvor in dieser so famosen Saison mit der Verlässlichkeit eines Schweizer Uhrwerks abgerufen hatten.

Die Generatoren des Bayer-Spiels sprangen entweder gar nicht an oder liefen bestenfalls im Notbetrieb. Kein Florian Wirtz, kein Alejandro Grimaldo, erst recht kein Exequiel Palacios und auch kein Granit Xhaka erreichte auch nur annähernd Normalform. Letztere beiden sahen auch bei den ersten beiden Gegentreffern schlecht aus. "Wir waren nicht auf unserem besten Niveau - alle, auch ich selbst", stellte Xabi Alonso nachher fest, "wir werden alle lernen, auch ich".

Palacios oder Andrich? Vor Anpfiff war beides richtig

Der Baske schloss sich in die Fehleranalyse nach der ersten Saisonniederlage im 52. Pflichtspiel mit ein. Und auch mancher Kritiker sah den 42-Jährigen als einen Hauptschuldigen für den enttäuschenden Auftritt und die Niederlage. Doch wie viel Schuld trägt Xabi Alonso wirklich daran, dass der Traum von der perfekten Spielzeit für Bayer 04 so kurz vor dem Saisonende zerplatzte?

War es beispielsweise ein Fehler, Palacios und nicht den zuletzt so formstarken Robert Andrich für die Doppelsechs zu nominieren? Die Antwort kann nur Nein lauten. Zwar patzte der Argentinier vor dem 0:1 gravierend, als er Torschütze Ademola Lookman nicht in seinem Rücken anrauschen sah. Doch dieser Patzer wäre nur mit dem Blick in die Glaskugel vorhersehbar gewesen. Lieferte Palacios doch zuletzt ebenfalls Top-Leistungen ab.

Seine Nominierung anstelle von Andrich als Fehler von Xabi Alonso zu deklarieren, ist nur legitim, wenn man von einem Trainer die Fähigkeiten eines Hellsehers erwartet. Aus der Perspektive vor dem Anpfiff wäre jede Entscheidung, egal ob für Palacios oder Andrich, aufgrund der guten Form der beiden nur eins gewesen, nämlich richtig.

Das komplette Wechselkontingent hätte zur Pause gerade so ausgereicht

War es ein Fehler, in der Startelf auf einen echten Mittelstürmer zu verzichten? Die Begründung für das Nein als Antwort auf diese Frage lieferte Xabi Alonso quasi selbst, indem er zur Pause mit Victor Boniface einen echten Sturmtank einwechselte. Doch auch mit der Doppelspitze Boniface/Amine Adli entwickelte Bayer nicht mehr Torgefahr.

Der Beleg, dass Leverkusens Harmlosigkeit an diesem Abend weder an System- noch an einer vorher offensichtlich stimmigen Personalauswahl liegen konnte. Vielmehr war der Gedanke des Trainers sogar naheliegend, wie beim 2:0-Sieg im Halbfinal-Hinspiel in Rom, gegen einen aggressiv nach vorne verteidigenden Gegner mit Wirtz als falscher Neun und einer extrem schnellen wie flexiblen Offensivformation zu spielen. Ein Plan, der bei einer normalen Fehlerquote durchaus erneut hätte aufgehen können.

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"Nicht Bayer-like": Hofmann bemängelt viele "technische Fehler"

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Hat Xabi Alonso nach der Hereinnahme von Boniface zur Halbzeit zu spät gewechselt? Eine Frage, die ihre Berechtigung besitzt. Zumal der Baske im Viertelfinal-Rückspielbei West Ham United (1:1) mit der frühzeitigen Auswechslung des damals völlig indisponierten Innenverteidigers Odilon Kossounou noch vor der Pause bereits bewiesen hatte, dass er bereit ist, schnell personelle Konsequenzen während des Spiels zu ziehen, wenn diese nötig sind.

Doch den einen Akteur, der ins Kostüm des Fehlerteufels geschlüpft war, gab es in Dublin anders als in London nicht. Mit Xhaka, Palacios, Grimaldo, Tapsoba und Adli - eine Liste, die übrigens nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt - hätte Xabi Alonsos komplettes Wechselkontingent zur Pause vielleicht gerade so ausgereicht, wenn er personelle Konsequenzen aus der für Bayer 04 völlig untypisch mit Fehlern übersäten ersten Hälfte hätte ziehen wollen.

Hofmann hätte als "Notstromaggregat" einen Impuls setzen können

Wenn man Xabi Alonso etwas ankreiden mochte an diesem Abend, dann, dass er Jonas Hofmann angesichts des durchweg hakenden Offensivspiels nicht einwechselte. Dass Akteure wie Nathan Tella und Adam Hlozek, die selbst davon abhängig sind, von einer gut funktionierenden Angriffsmaschinerie in Szene gesetzt zu werden, nicht für eine Wende sorgten, überraschte nicht.

Hofmann hingegen hätte quasi als Notstromaggregat mit seiner einfachen, aber Struktur gebenden Spielweise eventuell dafür den Impuls setzen können, dass die an diesem ernüchternden Abend in Dublin komplett fehlenden Abläufe und Automatismen im Leverkusener Offensivspiel doch noch irgendwie in Gang gekommen wären.

Doch wahrscheinlich wäre auch diese Maßnahme verpufft angesichts der Tatsache, dass sich so viele Bayer-Profis extrem weit unter ihrer Normalform präsentierten. Zu tiefschürfenden Analysen waren diese nach der Enttäuschung von Dublin nicht bereit. "Atalanta hat weniger Fehler gemacht als wir. Wir haben mehr Fehler gemacht als Atalanta", sagte Xhaka nur und unterstrich mit seiner Dopplung die entscheidende Ursache allen Übels. Fußball ist eben ein einfaches Spiel - mit manchmal auch ganz einfachen Erklärungen.

Bilder zum Europa-League-Finale zwischen Atalanta und Leverkusen