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Unter Druck blüht er auf: Was Pascal Groß der DFB-Elf geben kann

Ein Debütant mit großer taktischer Flexibilität

Unter Druck blüht er auf: Was Allrounder Groß dem DFB-Team geben kann

Lehrling beim DFB, Taktgeber in Brighton: Pascal Groß.

Lehrling beim DFB, Taktgeber in Brighton: Pascal Groß. imago images (2)

Es gibt ja diesen beliebten Satz über flexible Fußballer: "Den kannst du überall hinstellen." Oft folgt dann, begleitet mit einem Augenrollen, dass er nirgendwo wirklich gut spielt. Oder eben, dass er "alles" kann. Pascal Groß gehört zur letzten Kategorie, klar, sonst würde er ja nicht in seinem siebten Jahr Stammspieler bei Brighton & Hove Albion in der besten Liga der Welt sein und kurz vor seiner Premiere im Team von Hansi Flick stehen. Bis auf Torhüter und Innenverteidiger hat der Ex-Ingolstädter seit 2017 in der Premier League wirklich schon auf allen Positionen in der Startelf gestanden.

Die unentbehrliche Grundlage für eine solch hohes Maß an Flexibilität ist natürlich ein großes taktisches Verständnis. Dies bringt Groß mit, er hat es sich in unzähligen Stunden erarbeitet, schon als sein Vater ihn in der Jugend noch betreut hat. Ebenso ist er beidfüßig, wie man sagt, genauer wäre: Er setzt auch seinen linken Fuß gewinnbringend ein. Er hat ihn nicht nur, um nicht umzufallen, wie Fußballer gerne untereinander spotten, sondern bereitet damit auch Tore vor und schießt selbst welche.

Aktuell ist Groß ein Sechser: Locken, beschleunigen, zuschlagen

Sein Vereinscoach Roberto de Zerbi setzt Groß im 4-2-3-1 vorzugsweise als Sechser ein, doch der gebürtige Mannheimer hat tatsächlich unter ihm und dessen Vorgängern Graham Potter und Chris Hughton auch schon diese Positionen gespielt: rechter und linker Außenverteidiger, Schienenspieler, Flügel, Achter, Zehner, hängende Spitze. Potter setzte ihn zumeist im offensiven Mittelfeld ein, von dort erzielte er auch die meisten seiner bislang 27 Treffer für die Seagulls, nämlich zwölf.

Die Sechser-Rolle bei Brighton ist komplex, anspruchsvoll. Denn sie ist vor allem im Aufbau der Schlüssel hinter de Zerbis Gesamtplan. Der lautet: locken, beschleunigen, zuschlagen. Für die ersten beiden Komponenten ist Groß als Teil einer Doppelsechs mit zuständig. Heißt: Die Innenverteidiger schieben sich den Ball zu, um ein Anlaufen oder Pressing zu provozieren. Gibt der Gegner also mit dem Vorrücken das Signal, wird der bis dahin geduldig sich anbietende und hin- und herlaufende Groß entweder zum Klatschspieler oder er leitet beim Spiel über den Dritten mit einem Kontakt nach außen oder vorzugsweise auf seinen Partner auf der Doppelsechs weiter.

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Dieses Duo und die beiden Innenverteidiger bilden quasi ein "magisches Viereck". Mal wird der ballnahe, mal der ballferne Sechser von den zentralen Abwehrspielern gesucht, das ist variabel. Wichtig ist dabei aber ebenso das Verhalten des nicht angespielten Sechsers: Der löst sich nicht etwa aus dem Passschatten des attackierenden Spielers, sondern bleibt in seinem Raum, um mit einem seitlichen Anbieten keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Taktisches "Versteckspiel" generiert Zeit und Varianten

Aus diesem "Versteckspiel" heraus genießt er dann den Vorteil, wenn der kurze Pass des anderen Sechsers kommt, aus einem recht freien Raum aufzudrehen. Insgesamt aber soll er im Aufbau die Tiefe halten, das Spielfeld weder breit noch hoch machen. Gleiches gilt für den Zehner und den Neuner. Wenn dann alle möglichst dicht beisammen sind, bringt es die Innenverteidiger in die Zwickmühle: abwarten und die Tiefe verteidigen, dann hat die Offensive viel Zeit zum Aufdrehen. Oder aufrücken, dann aber starten die breit stehenden Winger in den dafür generierten, freien zentralen Raum ein.

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Das aber nur fürs Gesamtbild. Entscheidend ist, auch für die Nationalelf: Groß ist es gewohnt, unter Druck erfolgreich zu passen. Er behält die Ruhe, ob mit oder ohne Gegner im Rücken, weil er sich vor seiner Aktion ausreichend Platz und Überblick verschafft. Hinzu kommt eine saubere Technik. Ruhe und Selbstvertrauen haben ihn auch im FA-Cup-Halbfinale gegen Manchester United (6:7 i. E.) seinen Versuch im Elfmeterschießen versenken lassen. Unter Druck blüht er auf.

Pascal ist jemand, der gute Entscheidungen trifft.

Hansi Flick

Und Bundestrainer Flick weiß, warum er ihn berufen hat. Spät, aber mit Blick auf die EM noch nicht zu spät: "Pascal ist jemand, der gute Entscheidungen trifft." Das ist er, gesegnet mit einer Spielintelligenz, die ihn übrigens auch stets die Tiefe suchen lässt mit seinen Pässen, so es die Situation gestattet.

Spiele des DFB

Groß bereitet dank seines guten Auges auch Tore vor, spielt gerne Schnittstellenpässe und schließt auch mal verzögert erfolgreich ab, um den Torhüter auszugucken, somit die Kugel in die Gegenbewegung des Keepers flach, platziert und unerreicht ins Netz zu schieben.

Wenn man sich nun fragt, warum ein Spieler mit dieser Qualität und Flexibilität "nur" in Brighton spielt, gibt es darauf mehrere Antworten. Zum einen, dass diese Frage schon despektierlich ist, weil die Seagulls - nicht zuletzt dank neun Toren und acht Assists von Groß nun selbst in der Europa League angekommen sind. Zum anderen, weil er und seine Familie sich einfach wohlfühlen im Süden Englands.

Vertrag verlängert und Brightons Rekordtorschütze in der Premier League

Groß hat seinen Vertrag erst in diesem Frühjahr bis 2025 verlängert. Und schließlich ist es ja nicht so, dass Scouts großer Klubs immer alles richtig machen. Wer Glamour, Glitzer und Show sucht, ist bei Groß an der falschen Adresse. Wer aber einfach einen Fußballer braucht, der natürlich nicht perfekt ist, aber deutlich mehr richtig als falsch macht, dem könnte Groß schon aufgefallen sein. Immerhin ist er nach seinem Tor gegen West Ham am 3. Spieltag (1:3) mit nun 27 Treffern nun auch Brightons bester Premier-League-Torschütze, indem er Glenn Murray ablöste.

Ein Trick, wie einst bei Matthews oder McGeady ist zwar (noch) nicht nach dem Deutschen auf der Insel benannt, doch aufmerksam wurden die Fans, als er vergangene Saison gegen Newcastle eine Flanke mit links antäuschte, aber dann beim Abbrechen der Bewegung den Ball mit links hinterm rechten Standbein vorlegte, um dann erfolgreich mit rechts zu flanken. Sieht man nicht allzu oft.

Familienvater, Hunde und Juist

So viel zum Spieler Groß. Und der Typ? Wenn Flick sagt, er habe vor allem Profis nominiert, die ihr "Ego hinten anstellen", dann trifft dies komplett auf den Familienvater zu, der Hunde liebt und gerne auch mal Urlaub auf der kleinen deutschen Nordseeinsel Juist macht.

Ob Flick ihn nun auf der Doppelsechs einsetzen will, als Außenverteidiger, Schienenspieler, Zehner oder gar vorne: Groß könnte alles, wie wie es sich für einen Allrounder gehört. Mal sehen, wo er hingestellt wird.

Thomas Böker

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