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Pelzer im Interview: "Gerade in Südamerika mischen die Engländer inzwischen extrem mit"

Zum Start von Chicago Fire in die MLS-Saison

Pelzer im Interview: "Gerade in Südamerika mischen die Engländer inzwischen extrem mit"

Im altehrwürdigen Heimstadion Soldier Field in Chicago: Sebastian Pelzer.

Im altehrwürdigen Heimstadion Soldier Field in Chicago: Sebastian Pelzer. Chicago Fire

Herr Pelzer, stellen Sie sich vor, wenige Tage vor Bundesliga-Start würde plötzlich beschlossen, dass zum Beispiel auch der Viertletzte in die Relegation muss.

Das wird in Deutschland nicht passieren (lacht).

Genau. Aber in der MLS sind solche Dinge möglich. So wurde vor ein paar Tagen verkündet, dass statt bisher sieben Teams pro Conference künftig neun an den Play-offs teilnehmen dürfen.

Das ist das Interessante an den USA, da so etwas kurz vor Saisonstart funktioniert. Die Liga ist über die Jahre stetig gewachsen, jetzt ist zum Beispiel St. Louis in der Western Conference neu am Start. Die Besitzer wollten den Wettbewerb spannend halten. So ist im Osten für nur sechs statt wie bisher acht Teams und im Westen für fünf statt sieben Teams die Saison nach der Hauptrunde beendet.

MLS

Der 11. Platz würde allerdings immer noch nicht reichen. Wie lautet das Saisonziel?

Wir waren nicht zufrieden mit unserer Bilanz letztes Jahr und haben uns zusammen mit unserem Besitzer Joe Mansueto als klares Ziel den Einzug in die Play-offs gesetzt. Mit der Qualität in unserer Mannschaft müssen wir dieses Ziel erreichen.

Trotz der sportlich enttäuschenden Saison brachten Sie Chicago mit zwei Transfers in die positiven Schlagzeilen. Der Wechsel von Stürmer Jhon Duran zu Aston Villa in diesem Januar ist mit einem von der MLS veröffentlichten Volumen von 22 Millionen US-Dollar der zweitteuerste Verkauf der MLS-Geschichte. Entdeckt haben Sie ihn zufällig, richtig?

Genau, ich habe im Sommer 2020 den kolumbianischen Innenverteidiger Carlos Teran beobachtet. Teran haben wir dann gleich im August verpflichtet. In besagtem Spiel wurde aber ein 16 Jahre alter Stürmer eingewechselt, bei dem man direkt seine außergewöhnliche Physis, Schnelligkeit, Technik und Abschlussstärke gesehen hat - die man nun auch in seinen ersten Einsätzen für Aston Villa beobachten konnte.

Das wird damals auch anderen Klubs nicht verborgen geblieben sein. Wie haben Sie es geschafft, dass Duran, obwohl er erst eineinhalb Jahre später gewechselt ist, Chicago den Zuschlag gab?

Wir waren schnell und mit die Ersten, die unser Interesse an ihm hinterlegt hatten. Unser Scout in Kolumbien hat den Kontakt zur Familie geknüpft und gepflegt. Nachdem er im Oktober 2020 auf der 60er Liste des "Guardian" über die besten Talente der Welt aufgetaucht war, ging ein Wettlauf los, auch europäische Klubs waren dabei. Am Ende brachten wir den Transfer ohne Einbeziehung eines Agenten über die Bühne. Neben der Tatsache, dass wir früh an ihm dran waren, hat Jhon klar gesagt, dass er die MLS als guten Entwicklungsschritt ansieht, um dann den Sprung nach Europa zu machen. Bei ihm hat es direkt nach einer Saison wunderbar geklappt. Eine tolle Geschichte für alle Seiten.

Jhon Duran und Brian Gutierrez

Jhon Duran und Brian Gutierrez - damals noch zusammen für Chicago Fire. IMAGO/USA TODAY Network

Auch für die MLS, die früher mal den Ruf als durch Städte, Land und Leute spannendes Pflaster, aber auch gemütliches Abklingbecken für alternde Stars aus Europa hatte.

Diese Zeiten sind längst vorbei. Falls ein Profi heutzutage noch mit diesen Gedanken in die Liga kommt, merkt er durch die hohe Qualität und Athletik, auch bei den vielen jungen Spielern, dass er an der falschen Adresse ist. Die MLS wird jedes Jahr besser und nähert sich dem Anspruch an, den der US-Profisport an sich selbst stellt. Man versucht sich permanent zu verbessern, ist ständig offen für Neuerungen und kann diese durch das Franchise-System auch unkompliziert umsetzen, wie man an der Play-off-Regelung sieht. Eine neue Regel half uns damals auch beim Duran-Transfer.

Welche?

Es gibt eine U-22-Initiative, um auch interessante Toptalente durch Ablösesummen in die Liga holen zu können, was die Qualität insgesamt weiter angehoben hat. Solche U-22-Akteure zählen nur mit einem Minimum zur Gesamtetat der Mannschaft, der ja durch den Salary Cap gedeckelt ist. Dieses Minimum können die Klubbesitzer im Paket "out of pocket" erhöhen. Wir haben Duran kein Megagehalt gezahlt, aber eben deutlich mehr als für solche jungen Spieler innerhalb der Gehaltsobergrenze eigentlich vorgesehen ist.

Diese Schlupfregelung war für Gabriel Slonina nicht nötig. Der Torwart entstammt der eigenen Nachwuchsarbeit, war dem FC Chelsea im Sommer 2022 15 Millionen US-Dollar wert, wurde zunächst nochmal ein halbes Jahr nach Chicago verliehen und wechselte im Winter wie Duran in die Premier League.

Das ist natürlich ein besonderer Erfolg, dass der von unserem Besitzer Joe Mansueto und uns entworfene Plan, nachhaltig in die Fire Academy zu investieren, so schnell solche Früchte trägt. Gerade auf der Torhüterposition, weil Sloninas Nachfolger Chris Brady ist auch erst 18 und wurde ebenso bei uns im Klub ausgebildet. Wir haben das große Glück, dass die beiden besten U-20-Keeper der USA aus unserer Akademie kommen. Auch unser selbst ausgebildeter Mittelfeldspieler Brian Gutierrez weckt bereits Interesse aus Europa. Wir hatten in den Trainingslagern im Januar und Februar neun Eigengewächse dabei.

Investitionen in die eigene Nachwuchsarbeit sind fast zwingend, da Sie durch die vielen Kader- und Transferrestriktionen die Erlöse aus Transfers wie jene von Slonina und Duran gar nicht eins zu eins in neue Spieler stecken können.

So ist es. Dafür kann unser Besitzer dieses Geld in den Ausbau unserer Strukturen investieren. Aus diesem Grund bauen wir unsere Scouting-Abteilung aus und es entsteht gerade ein fantastisches Trainingszentrum mitten in Chicago. Insgesamt verfolgen wir einen ökonomisch-nachhaltigen Ansatz, um als Klub ein breites, stabiles Wachstum hinzulegen und die Möglichkeiten für Erfolg und die Spielerentwicklung zu erhöhen.

Das gewisse Extra bringen aber oft externe Zugänge. Sind mit Blick auf Duran Süd- und Mittelamerika besondere Zielmärkte für Sie?

Auf jeden Fall. Dort kenne ich mich inzwischen gut aus, habe ein großes Netzwerk aufbauen können, weil eine gute Marktkenntnis der Schlüssel zu allem ist. Zumal wir in gewissen Dimension durch die angesprochenen Restriktionen und deutlich größere Fische im Teich nicht mithalten können. Gerade in Südamerika mischen die Engländer inzwischen extrem mit. Das macht es für uns nicht einfacher.

Welche Rolle spielen der etwa aus NBA und NFL berühmte Draft, also die Möglichkeit, die besten College-Spieler auszuwählen, und die Trades, die Tauschgeschäfte zwischen den Vereinen?

Dadurch, dass sich die Strukturen in den letzten Jahren ein wenig den europäischen angeglichen haben, also die Akademien der MLS-Klubs immer besser werden und eigene gute Talente hervorbringen, nimmt die Bedeutung des Drafts ab, weil es für die Colleges schwierig ist, das Trainingsniveau der Akademien zu bieten. Trades sind weiterhin traditionell wichtig, weil sie viele Möglichkeiten bieten. Wenn man zum Beispiel keinen Kontingentplatz für einen internationalen Spieler mehr im Kader hat, kann man sich diesen bei einem anderen Klub durch einen Trade holen. Letztlich sind internationale Transfers in der MLS aber trotz des gestiegenen Niveaus noch viel wichtiger als in den anderen großen Sportarten hierzulande, weil die USA im Fußball eben nicht die Nummer eins ist im Gegensatz zu Basketball, Football, Eishockey und Baseball.

Es gibt viele Besonderheiten und Einschränkungen. Welchen Lockmitteln erliegt ein Star wie Xherdan Shaqiri, der vor einem Jahr kam und kürzlich bei der WM in der Schweizer Nationalmannschaft immer noch gesetzt war?

Xherdan Shaqiri

Ein Leader in Chicago: Xherdan Shaqiri. IMAGO/USA TODAY Network

Grundsätzlich ist Chicago als Stadt ein sehr großes Pfund. Natürlich haben wir Shaq auch aufgezeigt, dass er bei uns ein Leader ist, der die Mannschaft und jeden Einzelnen besser machen kann. Zudem kennt ihn Georg natürlich bestens, er war dabei, als er in Basel aus dem Nachwuchs zu den Profis befördert wurde. Im Fußball geht es oft darum, persönliche Beziehungen zu nutzen. Letztlich zahlen wir ihm auch ein hohes Gehalt.

Welche Beziehungen hatte Rafael Czichos zu Chicago Fire, um vor einem Jahr eine spannende Kölner Mannschaft in der Bundesliga zu verlassen, wo er fast immer zum Einsatz kam?

Das war ein Zusammenspiel vieler Faktoren. Wir haben früh mal bei seiner Agentur lose angefragt, dann hat Rafa eben auch eine Affinität zu den USA und war mit seiner Familie bereit für einen solchen Schritt. Und, um es nochmals zu betonen, die Liga ist anspruchsvoll und sportlich eine Herausforderung. Wie übrigens auch das ganze Drumherum. Wir sind quasi ständig im Europapokal-Modus, fliegen weite Strecken zu den Spielen in unterschiedlichen Zeit- und Klimazonen.

Wie fällt die Bilanz der beiden nach der ersten Saison aus?

Rafa war ein absolutes Beispiel an Einsatz und hat als Kapitän unsere Erwartungen erfüllt. Shaq hatte ein paar Verletzungen, aber trotzdem beachtliche Zahlen.

Zwei weitere Deutsche sind im Team: Wie sehen die Rollen von Fabian Herbers und Kacper Przybylko aus, den einige noch aus Bielefeld, Fürth oder Kaiserslautern kennen?

Fabian hat sich nach seiner College-Karriere einen Stellenwert in der MLS als stabiler, verlässlicher Mittelfeldspieler erarbeitet, der sich nicht zu schade für die Drecksarbeit ist. Jedes Team kann einen solchen Spielertypen gut gebrauchen. Als wir Kacper vor einem Jahr geholt haben, war er über die drei vorigen Saisons bei Philadelphia kumuliert der drittbeste Torschütze der MLS. Seine letzte Saison war eher durchwachsen, mit zwei Toren beim Spiel in Charlotte hat er aber gezeigt, was in ihm steckt. Natürlich erwarten wir noch mehr solche Auftritte von ihm. Ihn plagten allerdings auch Rückenbeschwerden, die jetzt glücklicherweise Vergangenheit sind.

Czichos, Mukhtar und ein Kölner Newcomer: Die Deutschen in der MLS

Welche der vielen deutschen Spieler imponieren Ihnen in der Liga am meisten?

Hany Mukhtar ist da sofort zu nennen, er liefert konstant ab, wurde in der letzten Hauptrunde Torschützenkönig. Seine Zahlen sprechen einfach für sich. Linksverteidiger Kai Wagner, der 2019 von Würzburg nach Philadelphia wechselte, hat dort eine tolle Entwicklung genommen, sich mit seiner Zweikampfstärke und seinem Vorwärtsdrang zum absoluten Leistungsträger entwickelt.

Ernst Tanner in Philadelphia, Axel Schuster in Vancouver und jetzt Lutz Pfannenstiel beim neuen Team in St. Louis - stehen Sie mit den deutschen Manager-Kollegen im Austausch?

Dadurch, dass Ernst bei uns in der Conference ist, sieht man sich öfter und tauscht sich aus. Vor zwei Jahren war Axel mal bei uns zum Freundschaftsspiel, zudem ist Georg öfter mal auf Meetings, wo sich alle Sportchefs treffen.

Wer sind für Sie die Favoriten auf die Meisterschaft?

Titelverteidiger Los Angeles FC wird wieder eine gute Mannschaft haben, ich bin auch auf Philadelphia und Atlanta gespannt, wobei in dieser Liga die besten Teams der vorherigen Saison durch die speziellen Regeln nicht automatisch die Favoriten sind. Mal gewinnst du 3:0, dann verlierst du am nächsten Wochenende 0:2, um daraufhin wieder 4:1 zu gewinnen - diese geringe Vorhersehbarkeit macht auch ein Stück der Attraktivität der MLS aus.

Sie haben in der MLS in Ihrem Job Fuß gefasst, ist die Bundesliga eigentlich ein Traumziel für Sie?

Natürlich, ich komme nun mal aus Deutschland. Aber ich habe schon als Spieler gelernt, dass Fußball nicht planbar ist. Zudem bin ich gerade sehr zufrieden und habe eine große Aufgabe mit dem Projekt in Chicago und der Verbindung nach Lugano. Ich bin Georg sehr dankbar, dass er mir damals die Chancen gegeben und an mich geglaubt hat und dass wir bei einem so guten Besitzer wie Joe Mansueto arbeiten dürfen.

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