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Ligue 1: Warum der RC Lens erster PSG-Verfolger ist

Ungleiches Spitzenspiel in der Ligue 1

Ensemble der Übersehenen: Warum der RC Lens erster PSG-Verfolger ist

Protagonisten in Rot-Gold: Przemyslaw Frankowski, Franck Haise, Florian Sotoca.

Protagonisten in Rot-Gold: Przemyslaw Frankowski, Franck Haise, Florian Sotoca. imago images (3)

Eine Gemeinsamkeit gibt es dann doch zwischen Kylian Mbappé und Florian Sotoca. Weltmeister sind sie beide geworden. Beide im Fußball, beide mit Frankreich, beide sogar in Russland. Der eine war 19 und Weltstar, als er die Equipe Tricolore 2018 zum Titel schoss. Der andere war 22 und Fünftligaspieler, als er 2013 Gold holte - bei der Universitäts-WM.

Heute ist der eine, Mbappé, Top-Torschütze des Tabellenersten der Ligue 1. Und der andere, Sotoca, Top-Scorer des Tabellenzweiten. Am Neujahrsabend (20.45 Uhr, LIVE! bei kicker) steigt das Spitzenspiel zwischen dem RC Lens und Paris St. Germain - ein Duell, das ungleicher kaum sein könnte.

Ob Donnarumma, der mit 16 für Milan debütierte, Messi, der mit 13 nach Barcelona ging, Neymar, den mit 14 Real Madrid wollte, oder eben Mbappé: PSG dominiert die Liga mit einem Ensemble der Wunderkinder. Erster Verfolger ist völlig überraschend Lens - mit einem Ensemble der Übersehenen.

Mittelstürmer Sotoca etwa spielte noch mit 26 Jahren in der vierten französischen Liga, schoss damals für Grenoble durchwachsene sechs Saisontore. Genauso viele hat er jetzt, mit inzwischen 32, in der Ligue 1 auf dem Konto. Nach 15 Spieltagen. Die Liste lässt sich lange fortsetzen. Vom Stammtorwart über den Kapitän - bis hin zum Chefcoach. Seine gesamte Trainerkarriere verbrachte Franck Haise als Amateur-, Jugend- und Assistenzcoach, ehe er 2020 in Lens vom Trainer der zweiten Mannschaft zu den Profis - zu diesem Zeitpunkt nur in der Ligue 2 - delegiert wurde. Der Anfang einer Erfolgsstory.

Der "kleine Bruder von Atalanta Bergamo"

Nach dem geglückten Aufstieg führte er Lens mit einer No-Name-Truppe direkt auf Platz sieben, spielte so begeisternden Fußball, dass man bald schon nicht mehr von No-Names sprechen konnte. Der Ex-Bielefelder Jonathan Clauss, seines Zeichens ehemals Spieler in der Verbandsliga Südbaden, wurde zum französischen Nationalspieler und wechselte zu Olympique Marseille, für Abräumer Cheick Doucouré zahlte Crystal Palace knapp 23 Millionen Euro.

Informationen zum RC Lens

Vom "kleinen Bruder von Atalanta Bergamo" schrieb die französische Presse damals. Weil der RC, Spitzname "Blut und Gold", wie Bergamo in einer Industriestadt beheimatet ist, die für ehrliche Arbeit steht. Vor allem aber, weil Haises 3-4-1-2-System, das ausgeprägte Flügelspiel und das hohe Pressing stark an Gasperini-Fußball erinnern. Dabei sagt Haise: "Ich habe gar kein Lieblings-System, das 3-4-1-2 passt einfach gut zu meinen Spielern."

Wir sind bewaffnet.

Ex-Sportkoordinator Florent Ghisolfi

So gut, dass Lens in der laufenden Saison noch einen draufzusetzen scheint. Nur eines der ersten 16 Saisonspiele ging verloren, der Kleinstadtklub aus Nordfrankreich liegt auf Rang zwei zwar hinter PSG - aber dafür auch deutlich vor Marseille, Lyon oder Monaco. Sommerneuzugang Lois Openda, Sotocas Sturmpartner, schoss sich mit sieben Liga-Toren prompt einen Platz im belgischen WM-Kader.

"Wir haben jetzt noch mehr Variabilität im Angriff als letzte Saison, wir sind bewaffnet", befand - recht martialisch - nach dem starken Saisonstart der ehemalige Sportkoordinator Florent Ghisolfi. Wohlgemerkt: ehemalig. Nur wenige Wochen später war der erst 37-jährige Kaderplaner weg, abgeworben vom neureichen OGC Nizza. Haise ist seitdem Trainer und Manager in Personalunion.

Ghisolfi hatte sich die außertarifliche Gehaltserhöhung zuvor als Trüffelschwein erarbeitet. Neben Clauss und Haise grub er Seko Fofana aus, der sich bei Manchester City nicht hatte durchsetzen können und bei Udinese Calcio eher unauffällig agierte. Jetzt ist der Mittelfeldspieler Kapitän und Herzstück in Lens, sogar PSG soll schon angeklopft haben. Ghisolfi holte Kevin Danso vom FC Augsburg, Facundo Medina vom CA Talleres - beide stehen in der Innenverteidigung der zweitbesten Abwehr der Liga.

Wir mussten ihm erstmal erklären, was Lens überhaupt ist.

Florent Ghisolfi über Przemyslaw Frankowski

Und er holte Przemyslaw Frankowski von Chicago Fire - ein versteckter Volltreffer. "Ein Spieler wie Frankowski, wenn der schon in Frankreich oder Deutschland gespielt hätte, wäre er für uns unantastbar gewesen", erklärte Ghisolfi mal gegenüber "L'Equipe" seine erfolgreiche Transfer-Philosophie. "In unserer Position müssen wir kreativ sein. Wenn du in einer schwächeren Liga nach Spielern Ausschau hältst, musst du herausfinden, ob sie auch auf einem höheren Level direkt performen. Genau wissen kannst du es nie. Unsere Aufgabe ist es, die Unsicherheit zu minimieren."

Das klappte bei Clauss, bei Medina, bei Frankowski. Der polnische Außenbahnspieler passt mit seiner Antrittsstärke, Laufbereitschaft und Defensivqualität wie angegossen ins Lens-Spiel, wurde zum Stammspieler in der Nationalmannschaft. Ein perfektes Match - wenn auch ein unverhofftes. "Er ist Pole und hat in Chicago gespielt. Wir mussten ihm erstmal erklären, was Lens überhaupt ist", meinte Ghisolfi. Eine Frage, die sich bei seinen Nachfolgern erübrigen könnte.

mib

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