Bundestrainer Joachim Löw entschied sich gegenüber dem 1:0-Erfolg im letzten Gruppenspiel über Nordirland für eine Veränderung in der Startformation: Im linken offensiven Mittelfeld verdrängte Draxler Götze, der erstmals bei dieser EM nicht in der Startelf stand. Dagegen wurde Abwehrchef Boateng (Wadenprobleme) rechtzeitig fit und erhielt ebenso das Vertrauen wie Kimmich, der wieder als Rechtsverteidiger fungierte, oder auch Gomez, der nach seinem Siegtreffer gegen Nordirland erneut das Sturmzentrum bekleidete.
Jan Kozak, Trainer der Slowaken, nahm nach dem torlosen Remis gegen England vier Wechsel vor: Gyömber, Skriniar, Hrosovsky und Duris ersetzten Hubocan, Pecovsky, Mak und Duda.
Anders als noch vor 28 Tagen bei der "Regenschlacht von Augsburg", als die Slowakei die DFB-Elf mit 3:1 besiegt hatte, herrschten in Lille trockene Bedingungen. Dazu wurde im Vorfeld der Partie noch ein neuer Rasen im Stade Pierre Mauroy verlegt.
Boateng-Kracher aus 20 Metern - Özil beerbt Hoeneß
Auf diesem zeichnete sich sofort eine klare Rollenverteilung ab: Die Slowakei, als einer der vier besten Gruppendritten in die K.-o.-Runde eingezogen, zog sich erst einmal zurück und überließ dem Weltmeister die Initiative. So generierte die DFB-Elf auch die erste Chance des Spiels, als der slowakische Keeper Kozacik einen Khedira-Kopfball noch mit den Fingerspitzen über den Querbalken lenkte (7.). Keine 60 Sekunden später war der 32 Jahre alte Schlussmann aber machtlos: Boateng nahm eine verunglückte Abwehr von Skriniar aus 20 Metern volley und versenkte das Leder krachend links unten im Netz - das erste Länderspieltor im 63. Spiel für Boateng.
Das Achtelfinale im Überblick
Dem Traumstart folgte Einbahnstraßen-Fußball in Lille: Nur die DFB-Elf tat etwas für die Offensive und hätte frühzeitig die Weichen auf Sieg stellen können. Nach einem leichten, aber plumpen Skrtel-Foul an Gomez zeigte Schiedsrichter Szymon Marciniak aus Polen auf den Elfmeterpunkt, doch Özil vergab die dicke Möglichkeit zum 2:0, weil Kozacik die Ecke ahnte und den lasch und halbhoch geschossenen Ball zur Seite abwehrte (13.). Für Deutschland war es der erste verschossene Elfmeter bei einer Europameisterschaft seit 1976 (Uli Hoeneß im Finale gegen die Tschechoslowakei) und für Özil der erste Fehlschuss im Nationaldress (bei sechs Versuchen).
So aber blieb es bei der knappen 1:0-Führung, welche auch nach 30 Minuten noch Bestand hatte. Zu diesem Zeitpunkt dominierte die Löw-Elf das Spiel nach Belieben: 87 Prozent Passquote, 65 Prozent Ballbesitz und 11:0-Torschüsse sprachen eine mehr als nur deutliche Sprache. Einzig die Chancenverwertung war einmal mehr nicht weltmeisterlich bei der deutschen Mannschaft.
Neuer ist auf den Punkt hellwach - Gomez holt Klinsmann ein
Weltklasse-Tat eines Welttorhüters: Manuel Neuer bewahrt die DFB-Elf vor dem schmeichelhaften 1:1-Ausgleich. Getty Images
Torwart Neuer war unterdessen nahezu beschäftigungslos, ehe mit Hector ein eigener Teamkollege den Welttorhüter prüfte: Neuer reagierte bei einer zu kurzen Rückgabe aber reaktionsschnell (38.). Drei Minuten später musste Neuer erstmals gegen einen Gegenspieler eingreifen. Der 1,93 Meter große Bayern-Keeper kratzte einen Kucka-Kopfball spektakulär von der Linie (41.). Doch statt den Spielverlauf auf den Kopf zu stellen, schraubte 120 Sekunden später Gomez das Ergebnis nach oben. Der Besiktas-Angreifer traf nach toller Draxler-Vorarbeit aus kurzer Distanz zum 2:0 und markierte damit nicht nur die verdiente Pausenführung für die Nationalmannschaft, sondern zog nach seinem insgesamt fünften EM-Treffer mit dem bisherigen Spitzenreiter und Europameister von 1996 Jürgen Klinsmann gleich.
Slowaken starten verbessert ...
Mit verändertem Personal (Gregus für Weiss) betrat die Mannschaft von Jan Kozak den Rasen und wirkte auch gleich etwas mutiger. Kucka versuchte es aus der Distanz, scheiterte mit einem zentralen Schuss aber an Neuer (49.). Dessen Vorderleute wirkten dagegen etwas lasch zu Beginn der zweiten Hälfte. In der ersten Viertelstunde nach Wiederbeginn hatte die slowakische Nationalmannschaft beinahe 60 Prozent Ballbesitz und verlagerte das Spielgeschehen zumeist in die deutsche Hälfte.
... doch dann kommt Draxler
Technisch allererste Sahne: Julian Draxler krönte seine Leistung mit diesem tollen Treffer zum 3:0. Getty Images
Dann aber krönte der beste Mann auf dem Platz seine Leistung mit einem Treffer: Draxler netzte aus kurzer Distanz sehenswert und technisch anspruchsvoll per Drehschuss ein und sorgte just in der Phase, in der die Slowaken noch einmal aufkamen, für die Entscheidung (63.).
Mit dem Treffer zum 3:0 war die Messe gelesen und der Widerstand der Slowakei gebrochen. Dem Bundestrainer bot dies die Möglichkeit, einige seiner (Gelb-verwarnten) Leistungsträger zu schonen und den Reservisten etwas Spielpraxis zu gönnen. So kam Fanliebling Podolski zu seinen ersten Einsatzminuten bei der EM in Frankreich. Und auch dessen Kumpel Schweinsteiger sammelte weitere Einsatzminuten auf seinem Weg zurück in die Startelf. Dagegen hatten Boateng, Khedira und Draxler vorzeitig Feierabend.
In der Nachspielzeit verpasste Kroos das vierte deutsche Tor - Kozacik parierte reaktionsschnell. Vor dem deutschen passierte hingegen nichts mehr, sodass Neuer zum fünften Mal in Serie im DFB-Tor zu null spielte und damit nur noch eine Partie ohne Gegentor von der Einstellung eines DFB-Rekordes steht. Diesen kann der Weltmeister mit einem weiteren Sieg im Viertelfinale egalisieren. Dieses bestreitet die Löw-Elf am Samstag (21 Uhr) in Bordeaux. Der Gegner wird entweder Spanien oder Italien heißen.