Vielen TV-Zuschauern dürfte es am Dienstagabend so gegangen sein wie Emre Can. Der Defensivspezialist des BVB gestand nach der sportlich zweifellos verdienten, wenn auch auf unglücklichem Wege zustande gekommenen 0:2-Niederlage beim FC Chelsea, "das" einfach nicht mehr zu verstehen. Mit "das" meinte der Nationalspieler die Wiederholung des Strafstoßes von Chelseas Kai Havertz in der 53. Minute, nachdem sich zuvor der VAR eingeschaltet hatte, um dem überfordert wirkenden, aber umso selbstbewusster auftretenden Schiedsrichter Danny Makkelie (kicker-Note 5,0, Niederlande) zur Hilfe zu eilen.
SPIELBERICHT
Das Problem: Laut Regelwerk hätte der Video-Assistent Pol van Boekel (ebenfalls Niederlande) sich trotz eines Verstoßes beider Teams gar nicht melden dürfen. Klingt kompliziert? Das ist es leider auch. Und damit wären wir beim Hauptproblem: Der VAR - so sinnvoll er in Teilbereichen ist - hat dem im Kern so einfachen Fußballspiel einen Großteil seiner Faszination geraubt.
Einfaches Regelwerk bildete Grundlage für den Siegeszug des Fußballs
Das einfache Regelwerk bildete über Jahrzehnte die Grundlage für den Siegeszug des Fußballs als Sportart Nummer 1. In Deutschland. In Europa. In vielen anderen Teilen der Welt. Mit Ausnahme der Abseitsregel, die ursprünglich entgegen dem eigenen Mythos recht leicht zu erklären war, gibt es eigentlich nichts, was man selbst als totaler Laie nach kurzer Einführung nicht verstehen könnte.
Am Dienstagabend aber saß die versammelte Fachwelt im Stadion und vor den Bildschirmen und wälzte Regelbücher. TV-Experte und BVB-Berater Matthias Sammer sah im Verhalten des Schiedsrichter-Teams gar einen "handfesten Skandal". Doch damit schoss er über das Ziel hinaus. Denn es handelte sich am Dienstag natürlich nicht um eine bewusste Benachteiligung der Dortmunder. Das Problem ist vielmehr struktureller Natur.
Eingriffsschwelle muss deutlich erhöht werden
Technische Hilfe im Fußball hat fraglos ihre Relevanz, etwa bei der Tor- oder Abseitserkennung. Auch kann der VAR helfen, krasse Fehler des Schiedsrichters zu korrigieren oder übersehene Unsportlichkeiten zu ahnden. Doch in der aktuellen Anwendung schafft er häufig mehr Probleme, als dass er welche löst. Um das in den Griff zu bekommen, muss die Eingriffsschwelle noch deutlich stärker erhöht werden als es zuletzt der Fall war, so dass die Hauptentscheidungsgewalt und die Hauptverantwortung wieder komplett beim Schiedsrichter liegen. Entscheidungen im Grau-Bereichen dürfen kein Fall mehr sein für den VAR. Auch darf sich ein Referee nicht mehr hinter der Absicherung durch den VAR bei seiner eigenen Entscheidungsfindung verstecken dürfen. Letzteres wäre im Übrigen nicht nur im Sinne der Seele des Spiels. Es wäre auch im Sinne der Schiedsrichter und ihrer Assistenten, die zuweilen von den vielen Regeländerungen und -anpassungen verunsichert wirken. Denn sie würden ein Stück ihrer verlorengegangenen Autorität zurückgewinnen.