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Volles Haus in Ungarn: Die Stimmung ist zurück, aber auch die Zweifel

Stimmungsbericht aus Budapest

Volles Haus in Ungarn: Die Stimmung ist zurück, mit ihr aber auch die Zweifel

Ein noch sehr ungewohntes Bild in dieser Coronavirus-Pandemie: volle Ränge auf den Rängen der Puskas-Arena zu Budapest.

Ein noch sehr ungewohntes Bild in dieser Coronavirus-Pandemie: volle Ränge auf den Rängen der Puskas-Arena zu Budapest. imago images

Aus Budapest berichtet Jörg Wolfrum

Noch bevor sich die Türen des Aufzugs im fünften Stock des Medienbereichs der Puskas-Arena in Budapest öffneten, hatte man ihn am Dienstagnachmittag schon gehört - den Gesang der Fans. Zu diesem Zeitpunkt, eine Stunde vor Spielbeginn des Auftaktmatches der Gruppe F zwischen Ungarn und Portugal (0:3) waren vielleicht schon 30.000 im Rund des Stadions. Es wurde dann aber schnell voller und voller - und immer lauter und lauter.

Europameisterschaft - Vorrunde, 1. Spieltag
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Europameisterschaft - Tabelle - Gruppe F
Pl. Verein Punkte
1
Portugal Portugal
3
2
Frankreich Frankreich
3
3
Deutschland Deutschland
0

Fans in Massen auf den Rängen, man war es nicht mehr gewohnt. Und reagierte doch nur kurzzeitig überrascht. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier. Schnell hatte man alles wieder assimiliert, die Sprechgesänge, das Hin und Her, mit dem sich die Blöcke hinter den Toren gegenseitig pushten. Die typische Stadionatmosphäre war an diesem 15. Juni eben so neu wie zugleich auch alt gewesen - beim ersten großen Spiel in Zeiten der Pandemie vor vollen Rängen. "Man kann nur hoffen, dass nix passiert", äußerte sich Uli Hoeneß darüber nachmittags bei "MagentaTV".

Reichlich Abstand zwischen Medienvertretern

Da liegt er nicht falsch. Denn tatsächlich drückte man sich die Maske noch ein wenig enger vor die Nase, spätestens um 17.56 Uhr, als Ungarns Nationalhymne gespielt wurde - und eben von den meisten der gut 55.000 Zuschauern im ausverkauften Stadion lauthals mitgesungen, der Refrain gar geschmettert wurde.

Ob das Festdrücken der Maske etwas half? Man kann es nur hoffen - und zugleich auf die Abstände von den Medienplätzen zu den Rängen, auf die Abstände unter den Journalisten - jeder ein Desk von der Größe eines Schreibtisches für sich - vertrauen. Denn so viel Distanz war nicht einmal vor einem Jahr beim Final-8-Turnierformat der UEFA-Champions League in Lissabon geboten - als damals noch keine Fans zugelassen waren. Nun also Abstände unter den Medienschaffenden, wobei: in den Katakomben, Innen also, im Medienraum, sind die Tische kleiner. Sitzt man näher beieinander, fehlt zudem die frische Lust. Lüftung hin oder her.

Also vertrauen vor allem auf die Erstimpfung und nachgewiesene Antikörper, die man hat - nicht zu wenig. Doch ob das auch ausreichend ist? Das weiß ja keiner wirklich, ob man nicht nochmals erkranken kann trotz schon durchgemachter Infektion.

Nicht mehr los als in fast jeder deutschen Fußgängerzone

An einem Zug aus Menschen, wie er sich am Nachmittag in Budapest auf den Weg ins Stadion gemacht hatte, hätte man daher auch als Fan nicht teilgenommen. Eng beieinander wie einst auf der Love Parade? Muss gerade nicht sein. Selbst an der frischen Luft nicht. Tausende Fans hatten sich Stunden vor dem Spiel vom Heldenplatz etwas außerhalb des Zentrums, dort wo das Fan-Fest stattfindet, zwei Kilometer lang gemeinsam Richtung Arena bewegt. Die ungarischen Fans hatten das auch bei der EM 2016 auf ihrer Tour durch Frankreich gemacht, doch 2016 gab es auch keine Pandemie.

Puskas-Arena

Volles Haus in Ungarn unter Viktor Orbans Augen: Die Puskas-Arena war beim Spiel Ungarn vs. Portugal reichlich gefüllt. imago images

Man selbst war am Dienstagnachmittag mit der U-Bahn gekommen, der M2, Einstieg Station Astoria unweit der Elisabethen-Brücke. Um 15 Uhr, drei Stunden vor Spielbeginn, war es die drei Stationen Fahrt zum Stadion noch luftig zugegangen, da hatte man es in den vergangenen Wochen im Nachbarland Österreich und den Straßenbahnen in Wien regelmäßig voller erlebt.

Auch auf dem Gelände der Puskas-Arena war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr los gewesen als mittlerweile wieder wochentags in fast jeder deutschen Fußgängerzone. Auch auf dem Budapester Fan-Fest konnte an den Tagen zuvor, unter freiem Himmel und auf weitem Feld, Abstand eingehalten werden, wenn man wollte.

Ob das volle Stadion ein voller Erfolg wird?

Nichts deutete am Frühnachmittag des Dienstags auf dem Stadiongelände auf die Gänsehaut hin, die man dann doch bekommen sollte, als die Spieler - darunter Portugals Superstar und späterer Doppelpacker sowie Rekordbrecher Cristiano Ronaldo - kurz nach 17 Uhr zum Warmmachen den Rasen betraten. Und dann bei der Aufstellung der Nationalhymnen erst recht. Viele sangen letztlich ohne Masken, Getränke und Essen konsumiert wurde ja auch - und eben vor allem gesungen, gerufen, geschrien. Alles Fußball. Einerseits. Vielleicht aber auch Gift mit Blick auf die Aerosole und die Sitznachbaren.

Die Stimmung ist in jedem Fall zurückgekehrt, mit ihr aber auch der Zweifel, ob es gutging. Und die berechtigte Frage nach dem falschen Beispiel, nachmittags bei einem Zug, Leiber dicht an dicht - und nach dem Spiel, wenn sich Tausende durch Nadelöhre zwängen, die U-Bahnen nun mal darstellen. Dass manch öffentlicher Nahverkehr täglich zur Rush-Hour ähnlich daherkommt, macht es nicht besser, dort besteht für viele keine Wahl. Das eine sind die Fans, das andere die Veranstalter. Budapest um Ungarns Premier Viktor Orban hat ein volles Stadion gewählt. Ob es ein voller Erfolg wird oder ein voller Reinfall? Das wird sich erst noch weisen. Dann sind die vier Spiele von Budapest vermutlich schon längst gespielt.

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