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Prandelli und die unberechenbare Variable

DFB-Schreck Italien im WM-Check

Prandelli und die unberechenbare Variable

Der Maestro: Italien hofft auf weitere geniale Momente seines Taktgebers Andrea Pirlo.

Der Maestro: Italien hofft auf weitere geniale Momente seines Taktgebers Andrea Pirlo. imago

Viermal hieß der Weltmeister in der Geschichte schon Italien. Bei Turnieren trotzten die Azzurri oft widrigsten Umständen. Zum Beispiel 2006, als der Calciopoli-Skandal den italienischen Fußball erschütterte - und das Nationalteam in Deutschland den Titel holte. Wie schon nach einem ganz ähnlichen Skandal vor der WM 1982 in Spanien. Oder zuletzt 2012, als im Rahmen der nächsten Manipulationsaffäre sogar das Trainingszentrum der Squadra Azzurra in Coverciano durchsucht wurde und ein Spieler wegen der Ermittlungen aus dem Kader gestrichen wurde. Und was machten die Italiener, die zuvor auch noch ein 0:3-Testspielklatsche von Russland erhalten hatten? In Polen und der Ukraine stießen sie wieder bis ins Endspiel vor, in dem Spanien beim 0:4 dann allerdings eine Nummer zu groß war.

Im Halbfinale waren die Azzurri dabei wieder einmal zum Albtraum des DFB-Teams geworden, gegen das sie noch kein Pflichtspiel verloren hat - wie schon in der Vorschlussrunde der Heim-WM, als der spätere Weltmeister in Dortmund für großen Katzenjammer beim Gastgeber sorgte. In Brasilien könnte es wieder im Halbfinale zum Duell beider Teams kommen, die sich in einem Testspiel in Mailand Mitte November 1:1 trennten.

Qualifikation & Gruppe

Auf dem Weg zum Zuckerhut blieben die Italiener ungeschlagen, die Gruppe B gewannen sie vor Dänemark, Tschechien und Bulgarien. Das 2:2 gegen Armenien in Neapel zum Gruppenabschluss hatte für die Azzurri aber Konsequenzen: Dadurch rutschten sie in der FIFA-Weltrangliste ab und fanden sich bei der WM-Auslosung vergangenen Dezember zum ersten Mal überhaupt nicht im Topf der gesetzten Teams wieder. Zu allem Überfluss waren die Italiener dann auch noch der europäische Teilnehmer, der dem dritten Topf zugelost wurde. Die Folge: ein knackige Gruppe mit Uruguay, England und Costa Rica. Während die italienische Presse vor Wut schäumte und sich über eine "beschämende Auslosung" erregte, nahm es Nationaltrainer Cesare Prandelli relativ gelassen: "Mit drei früheren Weltmeistern ist das definitiv eine schwierige Gruppe. Aber wir sind nicht besorgt, wir sind immer besser vorbereitet, wenn wir wissen, dass es schwierig wird." Nicht so wie bei der WM 2010, als die Azzuri hinter Paraguay, der Slowakei und Neuseeland Letzter wurden.

Der Trainer

"Prima non prendere" - erstmal keinen reinkriegen. Das war jahrelang die Devise des italienischen Fußballs. Stichwort Catenaccio. Prandelli wollte von dieser Maxime jedoch nichts wissen und verordnete den Azzurri nach seiner Amtsübernahme infolge des Desasters von Südafrika einen offensiveren Stil im 4-3-3 - eine Kulturrevolution! "Fußball soll Spaß machen", sagt der 56-jährige "Commissario Tecnico", der eigentlich Architekt werden wollte, nach der WM trotz wochenlangen Rücktritts-Spekulationen nun aber wohl doch als Nationaltrainer weitermacht. Und noch so ein Satz, den man nicht sofort mit einem Italiener verbinden würde: "Bei der WM will ich ein Team, das alles riskiert."

Vorteil Confed-Cup?

"Wir haben einen kleinen Vorteil, weil wir schon wissen, wie schwer die klimatischen Voraussetzungen sein werden", glaubt Prandelli. Beim Confederations Cup hatte Italien einen guten Eindruck hinterlassen, war auf dem Weg zu Platz drei am Ende aber auf dem Zahnfleisch gekrochen. "Wir werden einen Kader mit 23 echten Athleten brauchen", weiß der Nationalcoach. Schon das erste Spiel gegen England wird zum Fitnesstest werden, denn es findet unter tropischen Bedingungen in Manaus statt. Das Duell am Amazonas wurde schnell zum "Rumble in the Jungle" ausgerufen. Trotz ihrer Brasilien-Erfahrung könnte ein Problem der Italiener sein: Mehrere Stammspieler haben ihren 30. Geburtstag schon länger hinter sich.

Das Team & eine unberechenbare Variable

Mario Balotelli

Kriegt er ihn in den Griff? Nationaltrainer Cesare Prandelli mit Sorgenkind Mario Balotelli. Getty Images

Dass zur Grundrezeptur italienischen Erfolges immer eine starke Defensive gehört, klar. Und es ist der geniale Maestro Andrea Pirlo, der dem Team das gewisse Etwas verleiht. Während diese beiden Konstanten fast vorausgesetzt werden können, ist es aber eine unberechenbare Variable, von der das Unternehmen Brasilien abhängt. Und die heißt Mario Balotelli. Seine Qualitäten sind unbestritten, an einem guten Tag kann der hochveranlagte Angreifer den Unterschied machen. Siehe EM-Halbfinale gegen Deutschland. Das Problem liegt vor allem außerhalb des Platzes, wo das Leben des exzentrischen 23-Jährigen einer einzigen Seifenoper gleicht. "Er muss erwachsen werden", meint Cesare Prandelli, der weiß, dass ein auf den Fußball fokussierter "Super Mario" unerlässlich für einen guten Ausgang des WM-Trips ist. Ruhiger schlafen lassen dürfte diese Erkenntnis den Nationaltrainer nicht gerade. Schließlich haben schon ganz andere Trainer (Mourinho, Mancini) die Flinte ins Korn geworfen, wenn es um Balotelli ging.

Ein "Duo infernale" sollte dieser eigentlich mit Giuseppe Rossi bilden. Nach zweijähriger Leidenszeit mit zwei Kreuzbandrissen war der kleine Stürmer in Florenz wieder zu Topform aufgelaufen, hatte beim 2:2 gegen Ghana im November erstmals seit 899 Tagen auch wieder im Nationaldress getroffen. Es folgte jedoch der Schock: Rossi, in der Torjägerliste der Serie A mit 14 Toren (in 18 Spielen) immer noch auf Rang zwei, zog sich eine schwere Bänderdehnung im Knie zu, muss erneut monatelang pausieren. "Giuseppe, wir warten auf dich", sagte Prandelli, der mit dem Turiner Sturmduo Alessio Cerci und Ciro Immobile formstarke (wenn auch unerfahrene) Alternativen in der Hinterhand hat.

Bei der WM will ich ein Team, das alles riskiert.

Cesare Prandelli

Und sonst? Baut Italien wie gewohnt auf eine gute Abwehr, deren Gerüst Rekordmeister Juventus Turin stellt. Der "ewige" Gianluigi Buffon (36) hütet nach wie vor das Tor, davor verteidigen mit dem Ex-Wolfsburger Barzagli, Chiellini und Bonucci drei weitere Juve-Akteure. Im Mittelfeld hofft der viermalige Weltmeister auf weitere Geistesblitze seines dann 35-jährigen Ideengebers Pirlo, der bei der EURO 2012 ganz Fußball-Europa verzückte. Die wichtige Rolle des Abräumers, der ihm den Rücken freihält, nimmt Daniele de Rossi vom AS Rom ein. Eine Frage, über die Fußball-Italien noch rätselt: Nimmt Prandelli einen der wiedererstarkten Weltmeister von 2006 mit, die mit starken Leistungen eine entsprechende Diskussion längst angefeuert haben? Die Kandiaten: Luca Toni und Francesco Totti.

Mario Balotelli: Das italienische "Enfant Terrible"