kicker

Outing im Fußball: Ängste, Schikanen, Rücktritte - und ein Freitod

Von Fashanu bis Dincdag

Outing im Fußball: Ängste, Schikanen, Rücktritte - und ein Freitod

Die gleiche Herausforderung, drei unterschiedliche Schicksale: Justin Fashanu, Thomas Hitzlsperger und Robbie Rogers (v. li.).

Die gleiche Herausforderung, drei unterschiedliche Schicksale: Justin Fashanu, Thomas Hitzlsperger und Robbie Rogers (v. li.). imago images (2), Getty Images

Alles begann mit einer Titelseite, zumindest für die große Öffentlichkeit. Als sich der Engländer Justin Fashanu 1990 in der Boulevardzeitung "The Sun" als erster männlicher Fußballprofi als homosexuell outete, war ein Aufschrei nicht zu überhören.

AIDS-Test beim Medizincheck

Zahlreiche Fans und auch Mitglieder seiner Teams feindeten ihn an oder wendeten sich von ihm ab, sogar sein Bruder John, der selbst Fußballprofi war. Beleidigungen und Schmähgesänge zählten fortan zu Fashanus Alltag, zu seinem Medizincheck bei einem neuen Klub sogar ein AIDS-Test.

Ausgrenzung und Schikane hinterließen ihre Spuren, 1998 wählte Fashanu mit nur 37 Jahren den Freitod. "Er nahm sich das Leben, weil er seine Familie nicht noch mehr belasten und seinen Frieden finden wollte", erklärte seine Nichte Amal, die sich mit einer Stiftung um das Vermächtnis ihres Onkels kümmert, im Februar im kicker-Interview.

Auf das Outing folgt der Rücktritt

Während Fashanu trotz der Anfeindungen noch einige Jahre im Profibereich aktiv gewesen war, trat 2000 der damals erst 21-jährige Thomas Berling, der in der zweiten norwegischen Liga spielte, kurz nach seinem Coming-Out zurück. Auch er war wegen seiner Sexualität angefeindet worden.

Doch es gibt durchaus auch positive Beispiele: den ehemaligen US-Nationalspieler Robbie Rogers etwa, der sich 2013 outete. Zwar beendete der damalige Spieler von Leeds United als Konsequenz seine Karriere in England, wenige Monate später wagte er in seiner Heimat aber ein Comeback. Bei LA Galaxy wurde er sowohl von Klubseite als auch von der Öffentlichkeit unterstützt.

Collin Martin tat es seinem Landsmann Rogers 2018 gleich, als er für Minnesota United ebenfalls in der MLS aktiv war und damals zum einzigen Sportler einer großen US-Sportliga avancierte, der offen zu seiner Homosexualität stand. 2019 folgte Andy Brennan als erster australischer Spieler - in Europa trat noch kaum jemand in die Fußstapfen Fashanus.

Thema
Homophobie im Fußball

Offenes Spiel

zum Thema
  • Es gibt keinen offen homosexuellen Spieler im deutschen Männer-Profifußball. Die Angst vorm Coming-out ist groß.
  • Warum ist das so? Was muss sich ändern, damit sich was ändert? Diesen Fragen widmet sich der kicker in einem Themen-Schwerpunkt.
  • Dieser soll ein Impuls sein für mehr Aufklärung, Akzeptanz und Sichtbarkeit.

Im europäischen Spitzenfußball: Outing erst nach der Karriere

2011 hatte sich Anton Hysen, Sohn des ehemaligen schwedischen Nationalspielers Glenn Hysen, geoutet und von einer sehr positiven Rezeption berichtet, zu dem Zeitpunkt spielte er aber fernab der großen Öffentlichkeit in der vierten schwedischen Liga. Im europäischen Spitzenfußball scheinen Angst und Sorge vor der Reaktion einer intoleranten Fankultur - oder vor der eigenen Mannschaft - noch zu groß zu sein.

Mutige Vorreiter öffnen sich erst nach ihrer aktiven Karriere, wie der ehemalige französische Nationalstürmer Olivier Rouyer. Oder Thomas Hitzlsperger, der als Vorstandsvorsitzender des VfB Stuttgart weiterhin in der Fußball-Öffentlichkeit steht. Schicksale wie das von Halil Ibrahim Dincdag werfen allerdings die Frage auf, wie weit der Männer-Profifußball in Sachen Toleranz und Akzeptanz von Homosexualität wirklich ist.

Fadenscheinig begründete Ausbootung

Der türkische Schiedsrichter, der nach seinem Outing bereits aus dem Militär ausgemustert worden war, durfte aufgrund angeblich ungenügender Fitness und mangelnden Talents plötzlich nicht mehr als Referee tätig sein. Mit seiner Geschichte ging Dincdag an die Öffentlichkeit und regte Diskussionen an, 2015 siegte er vor Gericht und bekam zumindest eine geringe Schadenersatzsumme vom türkischen Verband.

Niklas Baumgart