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Lerneffekt für die Heim-WM - oder mehr?

Russland baut auf Capello und reichlich Erfahrung

Lerneffekt für die Heim-WM - oder mehr?

Hoffnungsträger: Trainer Fabio Capello.

Hoffnungsträger: Trainer Fabio Capello. picture alliance

Die Sowjetunion machte 1966 mit Platz vier bei der WM-Endrunde in England mit dem legendären Lev Yashin im Tor von sich reden, dreimal reichte es zudem für das Viertelfinale. Als das Riesenreich zerbrach, verlor auch der Fußball seinen Glanz. Russland konnte sich nur zweimal qualifizieren. 1994 stellte Oleg Salenko immerhin beim 6:1 im abschließenden bedeutungslosen Gruppenspiel gegen Kamerun mit fünf Toren in einem Spiel einen WM-Rekord auf, doch wie 2002 mussten die Russen bereits nach der Vorrunde die Koffer packen. Dies soll sich 2014 nun ändern. Der Hoffnungsträger: Fabio Capello.

Der Trainer

"Capello ist ein absoluter Top-Spezialist. Er geht bei seiner Arbeit extrem professionell vor", sagt Torwart Igor Akinfeev über den Trainer, der seit Juli 2012 als Nachfolger des glücklosen Niederländers Dick Advocaat das Zepter bei der Sbornaja schwingt. Der Italiener bringt reichlich Erfahrung und Erfolge mit: Mit dem AC Mailand, dem AS Rom und Juventus Turin wurde er insgesamt siebenmal italienischer Meister (die beiden Erfolge mit Juve wurden allerdings nachträglich aberkannt) und mit Real Madrid triumphierte er zweimal in Spanien. Danach folgte seine erste Station als Nationalcoach, als er 2007 England übernahm. Mit den "Three Lions" verabschiedete sich der 67-Jährige bei der WM 2010 im Achtelfinale gegen Deutschland (1:4), vor der EM 2012 trat der Italiener nach einem Streit mit dem englischen Verband (FA) überraschend zurück. Der russische Verband schnappte zu und sicherte sich die Dienste des Fußballlehrers. "Wir wünschen ihm viel Erfolg in seinem neuen Abenteuer", schrieb Starspieler Andrey Arshavin auf seiner Webseite. Abenteuerlich war der Weg zur WM nach Brasilien aber nicht. Capello führte das Team letztlich souverän zur Endrunde. Sehr zur Freude der Verantwortlichen, die Capello mit einem neuen Vertrag bis zur Heim-WM 2018 ausstatteten. "Wir haben große Pläne, und ich werde alles mir Mögliche tun, damit die russischen Fans glücklich werden", verkündete Capello nach der Unterzeichnung.

Trainersteckbrief Capello
Capello

Capello Fabio

Russland - Vereinsdaten
Russland

Gründungsdatum

01.01.1912

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Die Qualifikation

Roman Shirokov

Auf dem Weg nach Brasilien: Roman Shirokov brachte Russland in Aserbaidschan in die Spur. Getty Images

Glücklich gemacht hat er die Anhänger zunächst mit dem Erreichen der WM. Nachdem die russische Auswahl als Gruppendritter die WM 2006 in Deutschland verpasst hatte, und 2010 in Südafrika nicht dabei war, weil ein gewisser Zlatko Dedic (Dynamo Dresden, damals VfL Bochum) mit seinem Tor im Play-off-Rückspiel in Slowenien die Tür zuschlug, klappte es diesmal. In die Qualifikation ist Russland nicht gerade als Favorit gestartet, am Ende musste Portugal um Weltfußballer Cristiano Ronaldo aber dem 18. der FIFA-Weltrangliste den Vortritt lassen. Die ersten vier Spiele gewann das russische Team ohne Gegentor, erst nach der 0:1-Niederlage bei den Portugiesen und dem 0:1 in Nordirland kam Spannung auf in der Gruppe F. Russland überstand die Mini-Krise, feierte zwei Siege und sicherte sich mit einem 1:1 im letzten Gruppenspiel in Aserbaidschan das Ticket.

Der Spielstil

"Wir haben versucht, unsere Mentalität an den modernen Fußball anzupassen. Heutzutage muss man kompakt stehen und kurze Pässe spielen. Wir haben uns qualifiziert, da wir trotz aller Offensivbemühungen die Defensive nicht aus den Augen verloren haben", erklärte Capello. Nur fünf Gegentreffer und 20 Tore in zehn Qualifikationsspielen zeigen die Handschrift des Italieners. In das WM-Jahr ist Russland im März mit einem 2:0 gegen Armenien um BVB-Mittelfeldspieler Henrikh Mkhitaryan gestartet. Mit dem von Capello bevorzugten Spielstil: Geordnete Abwehr , einfaches, schnelles Passspiel und vorne ein Höchstmaß an Effektivität.

Das Team

Gelungener Auftakt 2014: Die russischen Akteure jubeln über den Sieg im Test gegen Armenien.

Gelungener Auftakt 2014: Die russischen Akteure jubeln über den Sieg im Test gegen Armenien. Getty Images

Bei der Umsetzung seiner Spielphilosophie "einer perfekt organisierten Mannschaft" kann Capello in Brasilien auf erfahrene Akteure setzen. Torwart Igor Akinfeev (ZSKA Moskau), der wie etliche andere Akteure 2008 und 2012 EM-Luft schnupperte, stand in allen zehn Qualifikationsspielen im Gehäuse. Die Abwehr hat mit fünf Gegentoren in der Qualifikation wenig zugelassen, dennoch könnte sie zum Problem werden. Zur alternden Innenverteidigung Vasiliy Berezutskiy (31) und Sergey Ignashevich (33), beide robust, beide von ZSKA, beide mit reichlich Erfahrung, beide aber mit Defiziten in der Schnelligkeit, gibt es keine Alternativen. Die sind im Mittelfeld schon größer: Vor allem der nicht immer einfach zu handhabende Roman Shirokov (im Februar nach Differenzen mit dem damaligen Zenit-Coach Spalletti zum FK Krasnodar gewechselt) soll das Spiel der Russen lenken und leiten. Viel läuft bei der Sbornaja über die Flügel. Über links soll Andrey Arshavin (Zenit), sofern der ehemalige Superstar überhaupt spielt, anschieben, über rechts Alan Dzagoev (ZSKA). Der empfahl sich als einer der wenigen bei der EM 2012, als er drei der fünf russischen Tore erzielte, das Aus aber nicht verhindern konnte. Im Sturm hat der junge Alexander Kokorin (23, Dinamo Moskau) gute Karten, nachdem mit Torjäger Alexander Kerzhakov einer der Stars zuletzt auf Vereinsebene schwächelte. Der Zenit-Stürmer, in der Qualifikation auch nicht immer erste Wahl, trug allerdings fünf Tore zum Erreichen der WM bei. Das wichtigste: Der 1:0-Siegtreffer gegen Portugal.

Capello fordert "Siegermentalität"

"Unsere Gruppe ist nicht so schwer wie andere, beispielsweise B oder G. Es ist eine gute Gruppe, kein schlechtes Los. Eine andere wichtige Sache ist der Ort. Wir spielen im Zentrum von Brasilien. Ich bin zufrieden", erklärte Capello, nachdem Russland in der Gruppe H mit Algerien, Südkorea und Belgien keinen Hochkaräter zugelost bekommen hat. "Zunächst einmal wollen wir die Gruppenphase überstehen", betont Capello, für den es aber auch gerne mehr sein kann. "Im Prinzip kommt es vor allem darauf an, dass man eine gewisse Siegermentalität an den Tag legt", so der 67-Jährige. Wichtig für ihn ist vor allem, dass sein Team "wertvolle Erfahrungen für die darauf folgende WM in Russland" sammelt. Und: "Ich wünsche mir Ergebnisse bei dieser WM, dass meine Spieler konzentriert und aggressiv zu Werke gehen und sich mental weiterentwickeln." Lerneffekt für die Heim-WM - oder doch mehr?