WM

Kurz im Interview: "Ich würde das Spiel einfach genießen"

Ex-Profi coachte drei Jahre in Down Under

Kurz im Interview vor Australien-Argentinien: "Ich würde das Spiel einfach genießen"

Sieht Australien als starkes Kollektiv: Marco Kurz.

Sieht Australien als starkes Kollektiv: Marco Kurz. IMAGO/Ulrich Wagner

In Deutschland arbeitete Marco Kurz bei 1860 München, dem 1. FC Kaiserslautern, dem FC Ingolstadt und Fortuna Düsseldorf als Trainer. Zwischen 2017 und 2020 verbrachte der 53-Jährige drei Jahre in Australien, trainierte zunächst für zwei Saisons Adelaide United und zog anschließend zum Ligakonkurrenten Melbourne Victory weiter. Dabei lernte er viel über den Fußball in Down Under, baute ein gutes Verhältnis zum aktuellen Nationalcoach Graham Arnold auf und betreute sogar drei Profis aus dessen aktuellen Nationalmannschaftskader. 

Am Mittwoch schlug Australien Dänemark mit 1:0 und ist ins Achtelfinale der WM eingezogen. Ist da ein Wunder passiert, Herr Kurz?

Ein Wunder nicht. Es hat mich allerdings überrascht, denn Favorit waren die Australier nicht. Gerade nach der deutlichen 1:4-Niederlage gegen Frankreich.

Warum sind die Socceroos dennoch weitergekommen?

Sie haben sich nie beirren lassen, haben ihre Hausaufgaben gegen Dänemark gemacht, schlagen gute Standards. Mit ihren Mitteln versuchen sie auch mal, Fußball zu spielen. Aber der Schlüssel ist natürlich die kompakte Defensive.

Waren die Australier so gut oder die Dänen so schwach?

Natürlich hat Dänemark bei dieser WM nie zur Form gefunden. Man hatte nicht das Gefühl, dass die Truppe auch eine Einheit ist. Das ist dann die Chance für eine Mannschaft wie Australien. Die Spieler haben sie genutzt.

Sie haben ja zum Beispiel einen Craig Goodwin, einen Thomas Deng oder einen Riley McGree trainiert.

Genau, und natürlich lernt man auch die anderen, die in der A-League spielen, als Trainer ganz gut kennen.

Wie ist das Verhältnis zu Ihren ehemaligen Profis?

Gerade mit Craig habe ich immer mal wieder Kontakt, ich habe ihm auch schon zu dem Sieg gratuliert.

Auch mit Trainer Graham Arnold tauschen Sie sich aus.

Er war zu meiner Australien-Zeit Coach bei Sidney FC, wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Wirklich ein toller Erfolg für ihn, das Land und natürlich die Spieler.

Wie wirkt Arnold auf Sie?

Er ist sehr ruhig, besonnen, hatte schon immer einen guten Draht zur Mannschaft. Mit dieser Art war er auf Vereinsebene sehr erfolgreich (zwei australische Meisterschaften, zwei Pokalsiege, d. Red.) und hat die Gruppe so geformt, dass sie als Kollektiv gut funktioniert.

Das muss fast sein, immerhin spielt kaum einer der Profis in einer Top-Liga.

Ja, auch die heimische A-League hat kein hohes Niveau. Aber wenn man Dänemark 1:0 schlägt, ist man verdient weiter.

Auch die Taktik mit einigen wenigen Nadelstichen aus einer kompakten Defensive heraus ging auf.

Sicher, der Defensivverbund ist eine Stärke. Ein hohes Pressing zum Beispiel gegen Frankreich wäre der falsche Weg gewesen, auch wenn die Franzosen nach 20 Minuten ihre Qualität ausgespielt und dann verdient gewonnen haben.

Welche Spieler sind in dieser Mannschaft entscheidend?

Mitchell Duke, die alleinige Spitze, ist ein physisch starker Spieler, der auch mal den Abschluss sucht, kopfballstark ist. Auch Craig Goodwin ist ein exzellenter Vorbereiter, hat einen starken linken Fuß.

Und Matthew Leckie? Er schaffte einst nicht den Durchbruch in der Bundesliga - weder bei Gladbach noch bei Hertha. Gegen Dänemark erzielte der 31-Jährige das Tor des Tages.

Er hat viel Tempo, ein starker Dribbler - wie bei seinem Treffer ersichtlich wurde. Die Mannschaft hat viele verschiedene Spielertypen.

Die Mischung macht’s also bei den Australiern?

Ja, die ist sehr angenehm. Es gibt nicht wie früher den einen herausragenden Star, einen Tim Chaill oder Mark Viduka. Zudem kann die Mannschaft nicht 90 Minuten pressen, dazu fehlt auch die Substanz über ein ganzes Turnier. Aber sie haben eben eine starke Defensive und aktuell auch das Glück und die Qualität im Abschluss.

Hätte einer der Akteure das Niveau für die Bundesliga?

McGree würde ich gerne mal in Deutschland sehen, zumindest bei einer Spitzenmannschaft der 2. Liga, selbst einen Kaderplatz bei einem Erstligisten würde ich ihm zutrauen. Er ist ein guter Vorbereiter, hat aber auch eine starke Physis.

Woran fehlt es in Australien, um mehr Talente auszubilden?

Die Liga verfügt über keinen Unterbau, kein funktionierendes Jugendkonzept. Konkret heißt das: Für die Ausbildung von Toptalenten ist die Liga nicht stark genug.

Kann die WM einen Schub geben?

Einen Hype würde ich mir schon wünschen, da muss man aber abwarten. Fakt ist: Die Australier sind sehr stolz auf ihre Erfolge. Investments wären toll, nach dem Motto: "Jetzt, mit diesem Erfolg im Rücken, müssen wir die Strukturen ändern". Ein erster Schritt wäre es, Stammgast bei den Weltmeisterschaften zu sein.

Nun geht es aber erst einmal bei dieser WM weiter. Am Samstag wartet Argentinier mit einem Weltklassekader.

Gegen Polen (2:0, d. Red.) war die enorme Qualität sichtbar, auch in der ersten Hälfte gegen Saudi-Arabien (1:2, d. Red.). Interessant wird zu sehen sein, wie gut Australien gegen solch eine starke Offensive verteidigen kann. Am Ende gibt es allerdings kaum eine Chance, gerade, weil die Argentinier nun richtig im Turnier angekommen sind.

Klar ist eine Überraschung immer möglich, aber es wird sehr, sehr schwer.

Marco Kurz

Also ist es aussichtslos?

Ich würde das Spiel einfach genießen, es ist auch so schon ein enormer Erfolg für Australien. Und gegen Frankreich spielten sie anfangs richtig stark, das dürfte auch eine Warnung für die Argentinier sein. Klar ist eine Überraschung immer möglich, aber es wird sehr, sehr schwer.

Boykottieren die Fans trotz des Erfolgs teilweise die WM?

Schwer zu sagen, ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen. Ich gehe davon aus, dass jeder fußballbegeisterte Australier vor dem Fernseher sitzt.

Interview: Michael Postl