"So muss es bei uns auch werden." Diese Worte hat Deutschlands Nummer 1 Manuel Neuer kürzlich in Bezug auf Italien gewählt - und damit zugleich angedeutet, was auf den amtierenden Europameister in den nächsten Monaten zukommt.
Die Kurzform: Jeder kommende Gegner und jeder potenzielle Kontrahent bei der (Winter-)Weltmeisterschaft im nächsten Jahr wird versuchen, hinter den Erfolg der Azzurri zu blicken, das Spiel noch besser zu analysieren und das Werk von Nationaltrainer Mancini zu durchleuchten. Schließlich hat Italien in diesem Sommer die EM gewonnen (3:2 i.E. im Wembley-Stadion gegen England) und ohnehin mächtig Eindruck gemacht schon während des gesamten Turniers - mit einem großartigen Teamgeist, viel Einsatz, Offensivfreude, Spaß.
Schwerer macht die Sache noch, dass der Druck auf die Italiener auch von innen heraus höher werden wird. Denn der Gewinn des ersten und insgesamt erst zweiten EM-Titels nach 1968 schürt auch im Land, unter den Fans sowie auch im Verband und im Team die Erwartungshaltung. So steht in der WM-Qualifikation ein möglicher Weltrekord auf dem Spiel, darüber hinaus gehört mit Jorginho Europas Fußballer des Jahres 2021 dem Kader an - und ganz nebenbei wirft die WM schon ihre Schatten voraus.
Der Beiname "Überraschungsmannschaft" ist passé
Kurzum: Mit Anpfiff des WM-Qualifikationsspiels am Donnerstag (20.45 Uhr, LIVE! bei kicker) gegen Bulgarien schaut jeder auf die Squadra Azzurra, die 2022 in Katar um den goldenen Pokal mitspielen will, soll - und von sich aus selbst ja schon fast muss.
Ist aktuell das Aushängeschild Italiens: Jorginho. imago images/Offside Sports Photography
"Jetzt wird es schwierig, weil Italien nicht länger eine Überraschungsmannschaft ist", hat bereits Mittelfeldlenker Jorginho, auch bekannt als "Il Professore" oder "Radio Jorginho", vor dem vierten Quali-Auftritt in Florenz gemeint. Eine besondere Partie wird es gegen die Bulgaren aber nicht nur, weil es Spiel eins nach dem im Elfmeter-Drama gewonnenen EM-Finale gegen England ist.
Die Italiener können obendrein Historisches schaffen: Denn zuvor in der Geschichte sind nur Spanien und Brasilien (35 Spiele) länger ungeschlagen gewesen als die Azzurri. Der Europameister kann nun mit den anderen beiden großen Nationen gleichziehen. Parallel geht es um Sieg Nummer vier in einer bisher perfekten Qualifikationsrunde. Gelingt der nächste Dreier, könnte Mancini so langsam schon Flüge Richtung Doha heraussuchen.
Italien darf "die Deckung nicht herunternehmen"
Mancini hat für die anstehenden Aufgaben auch schon einen Plan, der den nun vorhandenen Druck abfedern soll: "Ich möchte, dass die Jungs da weitermachen, wo sie aufgehört haben" - als Einheit, die Spaß hat. Sein Star soll das Team bleiben, auch wenn Jorginho langsam als Anwärter für den Weltfußballer-Titel gilt, was ganz nebenbei auch Mancini selbst befürwortet. Doch im Kader ist der Regisseur nur einer von 25 Europameistern, die der Trainer für die Länderspiele berufen hat. Lediglich der verletzte Leonardo Spinazzola (AS Rom, Achillessehnenriss) fehlt von den EM-Helden.
Diese Einheit soll nun eines der größten Traumata Italiens bewältigen: die verpasste WM 2018 in Russland. "Der Sieg in Wembley darf uns nicht vergessen lassen, dass wir Ende 2017 dieses Ziel verfehlt haben, was die dunkelste Phase in unserer jüngeren Geschichte ausgelöst hat", erinnerte Verbandspräsident Gabriele Gravina gegenüber der französischen Nachrichtenagentur "AFP".
Diese einschneidende Erfahrung vor vier Jahren ist auch der Hauptgrund für das Understatement, das viele im Umfeld des Teams versprühen. Die Azzurri, nach dem WM-Erfolg in Deutschland 2006 über die Jahre immer mehr von der Weltspitze entrückt (trotz zwischenzeitlichem Hoch bei der EM 2016 unter Antonio Conte), seien endlich dorthin zurückgekehrt, "wo wir hingehören", so Jorginho, der aber auch anmahnt, "bescheiden" zu bleiben. Im Moment, in dem man "die Deckung herunternimmt", würden "schlimme Dinge" passieren. Und das solle nicht passieren, auch wenn die anderen Nationen und kommenden Gegner genau das provozieren und sehen möchten.