Handball

Heiner Brand: "Von wem die Idee mit den Bärten kam ..."

Zum 70. Geburtstag der Gummersbacher Legende

Brand im Interview: "Von wem die Idee mit den Bärten kam, weiß ich bis heute nicht"

Als Spieler wie als Trainer eine Legende: Heiner Brand wird 70 - und spricht im kicker.

Als Spieler wie als Trainer eine Legende: Heiner Brand wird 70 - und spricht im kicker. imago images (3)

Seinen Geburtstag am Dienstag begeht er "im kleinen Kreis mit Familie, Kindern und Enkeln". Den großen Bohei braucht Heiner Brand nicht mehr. Das kommt auch im großen kicker-Interview recht gut heraus.

Herr Brand, Sie haben in Ihrer gesamten Karriere nur für den VfL Gummersbach gespielt. Wie wichtig war Ihnen diese Vereinstreue?

Das war ja früher auch noch anders als heute und nicht außergewöhnlich. Spieler wie Horst Spengler oder Kurt Klühspies haben auch immer für denselben Verein gespielt. Ich hatte Angebote, die finanziell und unter beruflichen Aspekten lukrativ waren, wie aus Nettelstedt oder Leverkusen. Und in Gummersbach wurden die Einheimischen finanziell immer kurz gehalten. Aber ich bin hier geboren, ich habe meine Freunde hier - und auch landschaftlich ist es toll, das sehe ich bei meinen Radtouren. Deswegen bin ich froh, dass ich mich so entschieden und mich nie mit einem Weggang befasst habe.

Ihre Brüder Klaus und Jochen waren auch Handballer. War die Karriere da vorgegeben?

In Gummersbach gab es für sportliche Kinder und Jugendliche fast keine Alternative zum Handball, 90 Prozent sind damals zum VfL. Und da mein Vater nach dem Krieg den Handball in Gummersbach mitaufgebaut hatte, war ich schon als Kind bei jedem Spiel, habe mit sechs Jahren mit Handball begonnen - und danach natürlich die ganze Entwicklung verfolgt, als der VfL mit meinen Brüdern auch die ersten Meisterschaften gewonnen hat. Aber da konnte ich natürlich noch nicht ahnen, welchen Weg ich einmal gehen würde.

Sie galten als Abwehrspezialist, gäbe es einen Spielertyp wie Heiner Brand heute noch?

Ich habe ja nicht nur Abwehr gespielt, sondern auch im Angriff, nur habe ich da wenige Tore geworfen, weil es meine Aufgabe war, Räume für meine Nebenleute zu schaffen. Und da waren nur Shooter wie Jo Deckarm, Hansi Schmidt oder Erhard Wunderlich. Und in diese Rolle bin ich dann reingewachsen. Heute gibt es ganz andere Typen von Spielmachern, aber die Rolle wie meine in der Abwehr gibt es natürlich immer noch. Übrigens: Als Spieler war ich nicht immer einfach.

Vlado Stenzel war der erste Trainer, der in Deutschland richtiges Hallenhandballtraining anbot.

Heiner Brand

Welche Trainer haben Sie geprägt?

Allen voran Djordje Vucinic, weil er mir die Chance gegeben hatte, in Gummersbach in der Bundesliga zu spielen - gegen einige Widerstände, die es im Verein gab. Danach war es natürlich Nationaltrainer Vlado Stenzel, er war der erste Trainer, der in Deutschland richtiges Hallenhandballtraining anbot, die anderen kamen ja vom Feldhandball. Er betrat nicht nur Neuland, sondern hat unglaublich hart trainieren lassen, aber die Erfolge gaben ihm Recht. Später hat mich auch Petre Ivanescu geprägt, wird sind zwar oft aneinander geraten, aber lagen auf einer Linie.

Welche Erinnerungen weckt die erfolgreiche WM 1978?

Natürlich die Bilder nach dem Abpfiff des Finales, als wir unseren Sieg mit Hocksprüngen feierten, aber auch ganz andere Sachen: Ich habe gegen die DDR ein wichtiges Tor geworfen, das uns erst ins Finale brachte. Und generell natürlich, dass wir die absoluten Underdogs waren. Wir waren im Gegensatz zu den Ostblockmannschaften reine Amateure und haben nicht halb so viel trainiert wie die. Heute hat Deutschland da ganz andere Voraussetzungen. Insgesamt war das natürlich ein überragendes Ereignis.

Noch heute gibt es jährliche Treffen der Weltmeistermannschaft von 1978. War es auch der tragische Unfall von Joachim Deckarm, der die Spieler so zusammenschweißte?

Der Unfall war sicher das eine, wir haben aus dem Team heraus viele private Initiativen gestartet, um Jo zu helfen. Aber das war auch ein Verdienst der Handballfamilie. Viele Vereine haben Aktionen für Jo gestartet, Privatpersonen spendeten Geld. Aus all diesen Aktivitäten entstand dann der Jo-Deckarm-Fond. Im gesamten deutschen Sport habe ich nie mehr eine solche Solidarität gesehen, auch wenn andere Sportler ähnliche Schicksale hatten. Aber dieser Teamgeist der Weltmeister von 1978 liegt auch in Vlado Stenzel begründet. Er hat die Mannschaft zusammengestellt, er hat Soziogramme erstellt, wer mit wem konnte. Wer als Spieler nicht in dieses Team passte, hatte keine Chance. Und wenn wir uns heute treffen, ist es gleich wieder wie früher.

Die außergewöhnliche Karriere des Heiner Brand

War nach Ihrer aktiven Zeit die Laufbahn als Trainer vorgezeichnet?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe mein BWL-Studium abgeschlossen und wollte eigentlich Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer werden. Ich hätte mir damals vorstellen können, meine Erfahrung als Jugendtrainer einzubringen - aber nein: Gleich nach meinem Abschiedsspiel wurde ich Co-Trainer von Simon Schobel bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles und danach Co-Trainer meines Bruders Klaus beim VfL Gummersbach.

Und dann automatisch Bundestrainer?

Nein, als Schobel ging, wurde ich gefragt, aber ich hatte ja noch keine Erfahrungen. Die sammelte ich dann in Gummersbach und Wallau, wo ich mit drei völlig verschiedenen Mannschaften - erst den Routiniers, dann den Jungen beim VfL und dann in Wallau - dreimal deutscher Meister wurde. Das war die Reputation, um 1997 Bundestrainer zu werden.

Wie wichtig war EM-Bronze gleich in Ihrem ersten Turnier als Cheftrainer 1998?

Dadurch konnten wir erst einmal in Ruhe arbeiten, denn ein schlechtes Abschneiden hätte vielleicht gleich für Diskussionen gesorgt.

Meiner Frau und meiner Tochter hatte das nicht gefallen, wie ich dann aussah.

Heiner Brand

Waren die Niederlagen im EM-Finale 2002, dem WM-Finale 2003 und dem olympischen Finale 2004 prägend für die Mannschaft - quasi als Motivation für die Heim-WM 2007?

Das waren zwei unterschiedliche Mannschaften. Die alte bis 2004, als dann Stefan Kretzschmar, Blacky Schwarzer, Volker Zerbe oder Klaus- Dieter Petersen aufhörten, und die neue, die 2007 Weltmeister wurde. 2003 waren wir nicht gut genug, 2002 und 2004 hatten wir viel Pech, 2007 das Glück, das du brauchst, um einen Titel zu gewinnen. Aber dreimal Silber bei den größten Turnieren ist ja auch nicht schlecht ...

Stefan Kretzschmar setzt 2004 die Schere an den Bart von Heiner Brand an

Denkwürdig: Stefan Kretzschmar setzt 2004 die Schere an den Bart von Heiner Brand an. imago images

... und zwischendurch, im Februar 2004, der EM-Titel in Slowenien. Nach dem Finale haben die Spieler Ihren Schnauzbart abrasieren dürfen. Stimmt es, dass Ihrer Frau das gar nicht gefallen hat?

Ich hatte es den Spielern für den Fall der Goldmedaille versprochen, dass sie mich rasieren dürfen, und das musste ich dann auch halten. Und ja, meiner Frau und meiner Tochter hatte das nicht gefallen, wie ich dann aussah.

Der Schnauzbart spielte dann auch beim WM-Gold 2007 eine große Rolle. Wussten Sie, dass Ihre Spieler mit angeklebten Bärten zur Siegerehrung kommen würden?

Absolut nicht. Ich gab nach dem Finale ein TV-Interview und musste dann schnell zurück zur Kabine, um pünktlich zur Siegerehrung zu kommen. Und da kamen mir die ersten Spieler schon entgegen, mit ihren Bärten und Kronen. Es wurde ja viel gerätselt, ob sie mich noch mal rasieren würden, aber sie hatten sich etwas anderes überlegt. Von wem die Idee mit den Bärten kam, weiß ich übrigens bis heute nicht.

War Ihnen bewusst, welche Handballbegeisterung Sie und Ihre Mannschaft seinerzeit entfacht haben?

Wir haben es ansatzweise während des Turniers mitbekommen, dass die Leute überall in Schwarz-Rot-Gold feierten. Wir hatten diese überragende Stimmung schon in der Vorrunde in Halle/Westfalen, dann in Dortmund und natürlich bei diesen engen Spielen in Köln. Jeder sprach über Handball, bis zu 20 Millionen schauen das Finale. Wir waren in aller Munde, auch heute noch sagen Leute, die nichts mit unserem Sport zu tun haben: Damals habe ich Handball geschaut. Die Vereine konnten teilweise keine Kinder mehr aufnehmen - nur da ist auch die Frage: Wie lange hat das angehalten?

Mittlerweile haben alle gemerkt, wie wichtig ein erfolgreiches Nationalteam für die Liga ist.

Heiner Brand

Hat der WM-Titel auch geholfen, dass Liga und Nationalteam enger zusammengerückt sind?

Teilweise. Die Voraussetzungen wurden besser, aber es gab immer noch harte Kämpfe, gerade mit dem heutigen Ligapräsidenten Uwe Schwenker, der damals als Manager den THW Kiel als die Nummer eins des deutschen Handballs positionieren wollte und daher kein Interesse an der Unterstützung der Nationalmannschaft hatte. Aber mittlerweile haben alle gemerkt, wie wichtig ein erfolgreiches Nationalteam auch für eine erfolgreiche Arbeit der Klubs und der Liga ist. Aber immer noch gilt: Es müssen noch mehr junge Spieler den Übergang in die Bundesliga schaffen.

Waren dieser Kampf mit der Liga oder doch eher fehlende Titel der Grund für Ihren Abschied als Bundestrainer 2011?

Es gab mehrere Gründe: schlechtes Abschneiden bei Meisterschaften und die Erkenntnis, dass eine neue Generation eine andere Vorgehensweise erfordert. Aber sicherlich hat der ewige Kampf mit Teilen der Liga mir die Freude an der Tätigkeit genommen. Das Abschiedsspiel in Trier gegen Lettland war dann richtig emotional, als mein Co-Trainer Martin Heuberger kurz vor Schluss die Auszeit nimmt und sich die Halle erhebt. Danach war ich noch vier Jahre Sportdirektor des DHB, da hatte ich eher nur mit Funktionären zu tun, aber das war nicht meine Welt.

Kam danach nie mehr der Wunsch oder die Anfrage, wieder Trainer zu werden?

Darüber habe ich mir nie mehr Gedanken gemacht. Ich habe immer gesagt, dass ich nicht mehr mit 60 Jahren im Trainingsanzug in der Halle stehen möchte. Das Thema war durch, der Schlussstrich war gezogen, und diesen Schritt habe ich ebenfalls nie mehr bereut.

Danach wurden Sie TV-Experte für "Sky". Wie schwer oder leicht fiel es Ihnen, Spiele zu kommentieren?

Es macht richtig Spaß, Spiele zu bewerten und zu kommentieren, aber ich wollte immer nur der Experte sein, nie der Besserwisser. Es ist ja einfach, irgendjemand oder irgendetwas zu kritisieren, wenn man nicht selbst in der Verantwortung steht oder Entscheidungen treffen muss, das wollte ich nicht.

Haben Sie es in der Zwischenzeit geschafft, Ihr Golf-Handicap zu verbessern?

Ich gehe sehr gerne mit meinen ehemaligen Spielern oder meiner Frau golfen, wobei Christian Schwarzer, Daniel Stephan oder Stefan Kretzschmar ja fast schon Halbprofis sind. In meinem Alter verbessere ich mein Handicap nicht mehr, aber es macht mir einfach Spaß, mich an der frischen Luft - und meistens im Urlaub - zu bewegen.

Schon zu Lebzeiten wurde der Platz vor der neuen Gummersbacher Halle nach Ihnen benannt. Wie sehr hat Sie das bewegt?

Ich lebe noch, also habe ich ja noch was davon. Aber im Ernst: Das bedeutet mir sehr viel, Gummersbach ist meine Heimat. Wer die Mentalität von uns Oberbergern kennt, weiß diese Ehrung als etwas Außergewöhnliches einzuordnen.

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