Europa League

Vor Leipzig: Atalanta Bergamo wartet auf die Erntezeit

Bergamo visiert den Titelgewinn in der Europa League an

Atalanta wartet auf die Erntezeit - und hätte Leipzig "gerne vermieden"

Der Traum vom Europa-League-Sieg lebt: Die Spieler von Atalanta Bergamo wollen auch gegen Leipzig feiern.

Der Traum vom Europa-League-Sieg lebt: Die Spieler von Atalanta Bergamo wollen auch gegen Leipzig feiern. IMAGO/Vitalii Kliuiev

"Haltet eure Reisepässe bereit!" Atalanta auf Europa-Tournee - diese Zeile war schon im Sommer 2019 zu lesen. Damals hatten sich die Bergamasken erstmals in ihrer Vereinsgeschichte für die Champions League qualifiziert.

Das Besondere nun: Seither verschwanden die Lombarden kein einziges Mal mehr vom europäischen Parkett. Nach dem Coup in der ersten Pandemie-Saison (sehr knappes 1:2 im Viertelfinale gegen Favorit Paris beim K.-o.-Turnier in Lissabon) folgten zwei weitere Teilnahmen - Achtelfinal-Aus gegen Real Anfang 2021 sowie das erste Segelstreichen in der Gruppenphase in dieser Saison nach dramatischem "Finale" gegen Bayern-Bezwinger Villarreal.

Als Dritter qualifizierte sich das Team von Erfolgstrainer Gian Piero Gasperini (seit 2016 im Amt) aber immerhin für die Europa League. Auf der kleineren Bühne kommt es am Donnerstag (18.45 Uhr, LIVE! bei kicker) im Zuge des Viertelfinalhinspiels zum Kräftemessen mit Leipzig.

Von einer Fahrstuhlmannschaft zum Paradebeispiel

Dabei steht, vereinshistorisch, einiges auf dem Spiel: Die erst zweite Halbfinalteilnahme in einem europäischen Wettbewerb winkt.

Vor fast genau 34 Jahren traf Bergamo im Europapokal der Pokalsieger auf den KV Mechelen und träumte von der Premiere eines Zweitligisten (!) in einem Europapokalfinale. Beide Duelle gingen jedoch gegen den späteren Sieger mit 1:2 verloren - und so steht weiter in der gesamten Historie von "La Dea", der Göttin, nur der Coppa-Italia-Triumph von 1963 in den Büchern. Genauso die Serie-A-Aufstiege der ehemaligen Fahrstuhlmannschaft 1940, 1959, 1984, 2006 und 2011.

Doch Erfolge allein machen keinen Klub aus, erst recht nicht so einen besonderen wie Atalanta. Im lombardischen Schatten der sportlichen wie medialen Giganten Inter und Milan hat sich Bergamo mit einer international geschätzten Kaderschmiede zu einer immer größeren Nummer entwickelt. Und mit Gasperini in dieser 120.000-Einwohner-Stadt Bergamo den richtigen Coach für die Profis gefunden. Dessen Philosophie von attraktivem, laufintensivem und vor allem offensivem Fußball beeindruckt seit Jahren.

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"Gasp ist genau der richtige Mann am richtigen Platz", hatte Vereinspräsident Antonio Percassi schon 2017 gesagt - und damit genauso Recht behalten wie mit dieser Aussage: "Wir haben das alles seit langer Zeit geplant." Vor allem in Gasperinis Lieblingssystem, dem 3-4-3 mit Angriffen in Zangenbewegungen auf den Flügeln, vielen Abschlüssen und vor allem schnellem, raumgewinnendem Passspiel, geht die Rechnung zumeist auf. Inspiriert ist das alles von einer Ajax-Trainingseinheit, der der langjährige Juventus-Nachtwuchstrainer vor vielen Jahren einmal beigewohnt hatte.

"Das Potenzial ist riesig" - der Ertrag aber aktuell nicht

Sätze wie dieser unterstreichen die große Ambition des 64-jährigen Trainers, der im Interview mit dem "Corriere della Sera" mal gemeint hat: "Unser Beispiel kann einem lebendigen und vielversprechenden Jugendsektor in Italien, wo alle Fußball spielen, Mut machen. Das Potenzial ist riesig. Es liegt an uns, diesen Schatz endlich zu heben."

Gian Piero Gasperini ist Trainer bei Atalanta Bergamo.

Baumeister des Atalanta-Erfolgs: Trainer Gian Piero Gasperini (64). IMAGO/Jan Huebner

Ob ein Goldschatz in Form des Europa-League-Titels, der aktuelle Traum der Bergamasken, aber möglich ist? Fraglich, besonders weil der unter Domenico Tedesco seit Monaten stark aufspielende Gegner aus Leipzig Kopfzerbrechen bereitet. "Das ist eine hervorragende, spielstarke Mannschaft und seit Jahren eines der Topteams der Bundesliga. Ich hätte das Los Leipzig gerne vermieden", so Gasperini.

Beim vierten K.-o.-Duell mit einem Bundesliga-Klub nach Köln (1990), Dortmund (2018) und zuletzt Bayer Leverkusen im EL-Achtelfinale (3:2, 1:0) fehlt Atalanta außerdem das, was den Klub seit Jahren auszeichnet: die Torgefahr. Vor allem in der Serie A ist irgendwie der Wurm drin, die Bilanz von nur einem Sieg aus den jüngsten vier Ligaspielen bei nur zwei erzielten Treffern wirft in Verbindung mit weiteren Aussetzern im Saisonverlauf Fragen auf - und hat Trainer Gasperini dazu veranlasst, die vierte CL-Qualifikation am Stück quasi abzuhaken. Zumal derzeit mit Rang 7 sogar die Qualifikation für irgendeinen europäischen Wettbewerb in Gefahr ist.

Das alles ist für einen Verein wie Atalanta keine Tragödie.

Gian Piero Gasperini über die aktuelle Atalanta-Formkurve

Hauptursache: Während zwar im italienischen Oberhaus etwa 16 verschiedene Torschützen neben einer verbesserten Defensive geführt werden, fehlt es an vorderster Front an Effizienz, an Kaltschnäuzigkeit, um enge Spiele auch mal ziehen zu können. Die "Schuldigen" sind vor allem die Angreifer Luis Muriel, der viele Hochkaräter seit geraumer Zeit liegenlässt, und Duvan Zapata, der lange Zeit verletzt gefehlt hat.

"Das alles ist für einen Verein wie Atalanta keine Tragödie. Wir arbeiten im Vergleich zu anderen hier immer noch in kleineren Dimensionen. Das scheinen einige zu vergessen", stellt Gasperini klar. Denn ein Viertelfinale der Europa League "ist bereits ein herausragendes Ergebnis". Dennoch sind die Erwartungen nach den Erfolgen gestiegen.

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